Paul Flemming 07 - Die Paten vom Knoblauchsland
Frieda auch Tobias ereilen könnte, ohne dass Bruns jemand Bestimmten unter Verdacht hatte.
Oder aber er ahnte, wer den Tod seiner Tochter verschuldet hatte. Doch: Warum legte er die Karten dann nicht offen auf den Tisch und setzte alle Hebel in Bewegung, um diesen Jemand hinter Schloss und Riegel zu bringen? Wusste er von Rode und scheute davor zurück, sich mit einem hohen Politiker anzulegen?
Vielleicht führte der Name Rode aber auch nur auf eine falsche Fährte, und in Wahrheit jagte eine ganz andere, ebenfalls einflussreiche Persönlichkeit Bruns dermaßen große Angst ein, dass er schwieg. Paul kamen Jasmins kuriose Reden von dem oder den Paten des Knoblauchslandes in den Sinn. Sie hatte das nicht wirklich ernst gemeint - aber war eine solche Möglichkeit denn tatsächlich so abwegig? Soweit Paul wusste, bestanden im Knoblauchsland sehr alte, über Jahrhunderte gewachsene Strukturen. Sämtliche Familien, die eine Rolle spielten, lebten über Generationen am selben Fleck, viele waren miteinander verwandt, verschwägert oder zumindest befreundet. Paul hätte es sehr gewundert, wenn sich im Laufe der Zeit neben den offiziellen Hierarchien nicht auch weitere, inoffizielle Machtstrukturen gebildet hätten. Wenn es zum Beispiel um größere Grundstücksgeschäfte ging, hatten sicherlich nicht nur Gemeinderäte und Ortsvorsteher das Sagen, sondern es gab auch andere Entscheidungsträger, die lieber aus dem Verborgenen agierten: die Paten, mit denen man es sich besser nicht verscherzen sollte. Je länger Paul diese Möglichkeit in Betracht zog, desto realistischer erschien ihm ein solches Szenario.
Paul theoretisierte noch eine ganze Weile weiter, während er abwechselnd einzelne Figuren zur Hand nahm und ihnen verschiedene Rollen des Kriminalfalls zuwies, ohne dass ihm jedoch eine Erleuchtung gekommen wäre. Er wollte die Playmobilmännchen schon wieder wegräumen, als er auf ein winziges Plastikfahrrad stieß. Sofort waren die am Tatort gesicherten Reifenspuren wieder präsent, und er fragte sich: Welches Playmobilmännchen hätte auf diesem Rad sitzen können - und welcher realen Person würde diese Figur entsprechen?
Als das Telefon endlich doch noch klingelte, hatte er längst nicht mehr damit gerechnet. Wer mochte es sein, der sich als Freiwilliger zum Umzugsdienst meldete? Paul tippte am ehesten auf Pfarrer Fink und meldete sich in freudiger Erwartung einer Zusage: »Ja, hallo, bereit zum Kistenschleppen?«
»Ehm, wie? - Deuerlein am Apparat. Habe ich die Nummer von Herrn Flemming gewählt oder bin ich falsch verbunden?«
Paul biss sich auf die Zunge: »Oh, Entschuldigung. Ja, Sie sind richtig verbunden. Flemming am Apparat. Was kann ich für Sie tun, Herr Deuerlein?«
»Ich rufe wegen der Fotos an, die Sie mir gemailt haben.«
»Ach, die Testaufnahmen. Denen dürfen Sie keine besondere Bedeutung zumessen. Die habe ich während unseres Rundgangs ja quasi aus dem Handgelenk gemacht. Für die Imagefotos werde ich selbstverständlich professionell...«
Deuerlein fiel ihm ins Wort: »Großartig! Ihre Aufnahmen sind fantastisch. Ich möchte auf jeden Fall mit Ihnen ins Geschäft kommen, denn Sie haben mich überzeugt.«
»Oh.« Paul konnte mit so viel Lob schwer umgehen. »Das freut mich.«
»Bereiten Sie alles für das eigentliche Shooting vor, Sie können dafür gern einen Vorschuss bekommen. Und, ja, es wäre wichtig, dass Sie auch unsere Direct-to-the-Customer-Aktivitäten ablichten.«
»Bitte was?«
»Ach so, ja, das ist eines dieser Unworte aus dem Marketingjargon. Man muss sich vorsehen, dass man diese Ausdrücke nicht wie selbstverständlich übernimmt. Ich spreche von unserem Endverbraucherverkauf, dem Stand auf dem Nürnberger Hauptmarkt.«
»Sie möchten, dass ich Ihren Marktstand fotografiere?« Paul rief sich die Wettervorhersage in Erinnerung, die er mit Vorliebe den präzisen Prognosen der lokalen Domäne wetterochs.de entnahm. Demnach würde es nur noch heute und morgen schön sein, bevor ein Tief eine deutliche Abkühlung und ergiebigen Regen bringen sollte. »Wenn wir Fotos mit blauem Himmel haben wollen, sollten wir diese Aufnahmen vorziehen«, schlug Paul vor. »Wer weiß, wann wir wieder dieses optimale Wetter bekommen.«
»Gern. Wie Sie meinen«, sagte Deuerlein überschwänglich. »Sie sind der Künstler und haben das Sagen.«
Paul legte mit dem unbestimmten Gefühl auf, über Gebühr gelobt worden zu sein. Aber er bekam nicht die Gelegenheit, darüber zu reflektieren, denn
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