Paula geht
sie heute Paula auch keinen freundlichen Blick abringen. Sie hatte genug. Mehr als genug.
Ohne einen Blick zurückzuwerfen, marschierte sie zum Ortsausgang. Sie band gerade ihre Sweatjacke um die Hüften, denn es war schon am Morgen richtig warm, da stellte sich ihr ein Mann in den Weg, der ihr vage bekannt vorkam. Er lupfte seine Dienstmütze. „Paula Sommer, wenn ich mich nicht irre? Das ist gut, dass wir uns auf halber Strecke treffen. Es tut mir leid, wenn sie gerade einen Ausflug machen wollten“, sagte er mit Blick auf Paulas Rucksack, „aber ich muss Sie kurz noch bitten, mit mir zu kommen. Herbig ist mein Name, ich bin der diensthabende Polizist.“
Paula zuckte resigniert die Achseln. Es war gut, dass Sven sie vorgewarnt hatte, so war der Schrecken nur halb so groß. Sie schaute nicht nach links und rechts, als sie durch die Straßen zur kleinen Polizeidienststelle gingen. Aber sicher gab es genug Zeugen hinter Vorhängen und Fenstern. Aber was soll‘s, dachte Paula. Was habe ich jetzt noch für einen Ruf zu verlieren? So etwas würde sich selbst nach Penzlin herumsprechen.
Herr Herbig bat sie freundlich, Platz zu nehmen, und weckte seinen Computer mit dem typischen Windows-Gong aus dem Tiefschlaf. Vermutlich freute er sich, dass endlich mal was los war.
Dann nahm er seine Brille ab und räusperte sich. „Frau Sommer, wissen Sie, warum Sie hier sind?“
Paula zuckte mit den Achseln. „Könnte sein.“
„Wir haben eine Anzeige gegen Sie vorliegen wegen Heilausübung ohne Befugnis.“ Dabei strich er sich sorgenvoll durch das längliche Gesicht.
Jetzt wusste Paula schlagartig, woher er ihr so bekannt vorkam. Er war der Vater des kleinen Mädchens, dem sie den Einlauf verpasst hatte damals.
„Allerdings ist diese Anzeige höchst ungewöhnlich, weil niemand zu Schaden gekommen ist, soweit ich weiß.“ Täuschte sich Paula, oder hatte er ihr eben zugezwinkert? „Zudem wurde der Kläger selbst nie von Ihnen behandelt.“ Er rückte auf dem Stuhl etwas weiter nach vorne und sah ihr direkt in die Augen. „Frau Sommer, wann dürfen wir denn mit Ihrer Praxiseröffnung rechnen? Vielleicht lässt sich das ja bei zeitlicher Nähe als Bagatelldelikt abtun?“
Paula hatte keine Lust zu antworten. Sie war schon weg. Also zuckte sie nur die Achseln.
Herr Herbig reagierte enttäuscht. „Gibt es denn irgendetwas, das Sie zur Ihrer Entlastung anführen können?“
Paula seufzte. „Ich wollte nur helfen. Ich habe meine Dienste niemandem aufgedrängt.“
„Frau Sommer, das wissen wir doch. Wir müssen jetzt nur einen Weg finden, wie wir das auch aktenkundig machen können. Im Gegenteil, Sie haben vielen Menschen geholfen. Ich soll Sie auch von meiner Frau und meiner Tochter grüßen, denen ich allerdings nichts von dieser Sache hier erzählt habe.“
Paula dachte nur daran, dass sie jetzt zu spät an der Autobahn wäre.
„Wo kann ich Sie denn in den nächsten Tagen erreichen, sind Sie länger weg?“
Paula überlegte. Dann bat sie um einen Zettel und kritzelte die Adresse ihrer Mutter darauf. „Hier können Sie mich im Notfall erreichen oder mich zumindest verständigen lassen.“
Herr Herbig nickte dankbar. „Es ist mir wirklich sehr unangenehm, Sie mit dieser Sache zu belasten, aber es ist eine Anschuldigung, die bis zu einem Jahr Freiheitsentzug nach sich ziehen kann. Also muss ich Sie erreichen können. Ich vertraue Ihnen, dass Sie nichts Unüberlegtes tun.“ Dabei sah er sie prüfend an.
Paula war bei „ein Jahr Freiheitsentzug“ auf ihrem Stuhl zusammengesackt. Sie hatte mit einer saftigen Geldstrafe gerechnet. Die würde sie natürlich auch nicht begleichen können, also käme es vermutlich auf dasselbe heraus. Herr Herbig sah sie immer noch prüfend an und sie nickte hastig. „Kann ich für heute gehen?“
„Ja, natürlich. Wie ich schon sagte, es tut mir aufrichtig leid, aber Gesetz ist Gesetz.“
Paula schüttelte ihm kurz die Hand, verabschiedete sich und suchte so schnell wie möglich das Weite. Sie wollte nur noch weg, niemanden mehr kennen und sich endlich gehen lassen können. Sie wollte laufen, einfach nur laufen.
Sie nahm nichts und niemanden um sich herum wahr, als sie weiter Richtung Ortsausgang stapfte. Sie sah nicht, dass Ralf ihr vom Traktor aus einiger Entfernung verdutzt nachschaute und winkte, sie sah auch nicht, dass Bene nach der Schule schon auf dem Weg zu ihr nach Hause war. All das interessierte sie nicht mehr. Gerne hätte sie geweint oder sich an einer
Weitere Kostenlose Bücher