Paula geht
wollte keinen Ausflug machen, sie war gegangen. Schlagartig dämmerte es ihm, wieso ihm so mulmig zumute war. Nein, das durfte nicht sein. Panisch steuerte er den Traktor zum Hof zurück, sprang hinunter und lief zu Paulas Haus. Hier sah alles unverändert aus. Hätte man nicht etwas sehen müssen, wenn sie wirklich weg wäre, ein Schild „Zu verkaufen“ oder so?
Nur ein kleiner Junge saß auf der Treppe, den Ralf noch nie gesehen hatte.
„Weißt du, wo Paula ist?“, fragte er Ralf sofort.
Ralf schüttelte den Kopf, der Kleine tat ihm leid, er wirkte so verloren. Wieso war er nicht mit seinen Kumpels am See so wie alle Kinder um diese Zeit nach der Schule?
Ralf schaute nach den Ziegen. Paula hatte sie reichlich gefüttert. Der Menge nach wollte sie zwei, drei Tage wegbleiben. Oder vielleicht gar nicht mehr zurückkommen? Er setzte sich neben dem Jungen auf die Treppe.
„Wolltest du auch zu Paula?“
Ralf schüttelte den Kopf. „Ich habe sie nur weggehen sehen und mir Sorgen gemacht.“
„Ach, mit Paula ist alles in Ordnung“, winkte der Junge ab, „du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Sie hat ja mich. Ich helfe ihr immer.“
Ralf sah das schmächtige Kerlchen von der Seite an. „Da hat sie aber Glück.“ Wenn der Kleine wüsste, was er sich für Vorwürfe machte.
Warum war Paula nicht so wie geplant zu ihm gekommen? Er hätte ihr so gerne geholfen, aber nein, er hatte ihre Sturheit unterschätzt. Vermutlich war das alles zu viel für sie gewesen in der letzten Zeit. Aber vorgestern, als er sie trösten wollte – und da war er wirklich nur zufällig vorbeigekommen –, da hatte sie nicht mal das zugelassen. Richtig geflüchtet war sie vor ihm. Verstehe einer die Frauen. Er hatte gehofft und sogar gebetet, dass alles glatt laufen würde. Dass sie sich zumindest mit ihm besprechen oder wegen eines Jobs nachfragen würde. Er schlug sich mit der Hand an die Stirn. Das mit dem Job hätte er ihr anbieten müssen. Natürlich, jetzt war ihm plötzlich klar, dass sie zu stolz war nachzufragen, nachdem sie ihn abserviert hat, das hätte er doch andersrum genauso gemacht.
Der Junge sah ihn fragend an. „Ich bin Bene und wer bist du eigentlich?“
„Ralf.“
„Was machen wir jetzt, Ralf?“
„Kannst du denn nicht nach Hause?“
„Ich will nicht nach Hause, deswegen geh ich ja immer zu Paula.“
„Und deine Eltern erlauben das?“
„Mein Vater muss arbeiten und eine echte Mutter habe ich nicht.“
Armer Kerl, dachte Ralf. „Willst du mit zu mir kommen? Ich muss noch eine Runde Traktor fahren, da könnte ich dich mitnehmen, wenn du Lust hast?“
Bene musterte ihn, schien ihn dann als vertrauenswürdig einzustufen, sprang zu den Ziegen und rief „Tschüs Pipa, Pepe, Käthe, Frieda, Camilla. Ich komm‘ morgen wieder, seid brav und passt auf Paulas Haus auf.“
Ralf dachte gerade, ob sein Vorschlag eine gute Idee gewesen war. Vielleicht hätte er auch Paula hinterherfahren, sie um Entschuldigung bitten und ihr gestehen müssen, was für ein Dreckskerl er war?
Nein, dazu war er nicht mutig genug und noch dazu schämte er sich abgrundtief, dass sie jetzt vielleicht seinetwegen hier weggegangen war. Er würde erst mal abwarten, ob sie wiederkam, in zwei, drei Tagen, und wenn nicht, dann würde er versuchen, sie anzurufen. Sie hatte ja sicher ihr Handy dabei. Und so lange würde er sich jetzt nicht selbst zerfleischen, vielleicht war ja auch alles ganz anders, als er dachte.
„Gehen wir, kleiner Mann“, sagte er freundlich zu Bene und war froh darüber, dass er mitkam. Das würde ihn am Grübeln hindern.
Als Paula in Frankfurt ankam, war es schon nach Mitternacht. Sie war fix und fertig und wollte nur noch ein Bett. Manfred hatte per Handy organisiert, dass ein Kumpel von ihm sie von Düsseldorf nach Frankfurt mitnahm. Sie hatten in gefühlten zehn Staus gestanden, und der Kumpel war auch lange nicht so nett wie Manfred, hatte kaum etwas gesprochen und nur ab und zu schnelle Blicke auf ihren Ausschnitt geworfen.
Paula hatte sich zwar durch Manfred in Sicherheit gewähnt, war aber doch froh, als der Fahrer sie am Hauptbahnhof abgesetzt hatte. Sie kratzte ihre letzten Münzen zusammen – so pleite war sie noch nie in ihrem Leben gewesen – und nahm die U-Bahn Richtung Eschersheimer Landstraße.
Es tat ihr leid, ihre Mutter so zu überfallen. Aber das ging eben heute nicht anders. Hoffentlich war sie noch wach. Aber meistens sah sie sich die Spätsendungen im Fernsehen an. Sie schwor
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