Paula geht
darauf, dass das Fernsehprogramm zumindest auf den öffentlich-rechtlichen Kanälen sowieso erst ab zweiundzwanzig Uhr etwas taugte. Paula schleppte sich die fünf Treppen des Mietshauses hoch, da der Aufzug mal wieder außer Betrieb war und klingelte.
Sie hörte Stimmen. Hatte ihre Mutter etwa um diese Zeit noch Besuch? Da öffnete ihr ein älterer Herr im Bademantel die Tür. „Sie wünschen?“, sagte er höflich, aber leicht ungehalten.
Paula stammelte und sah vorsichtshalber nochmal auf das Klingelschild. „Hallo, ich bin Paula Sommer und wollte meine Mutter besuchen. Und wer sind Sie?“
Der Mann zuckte kurz mit dem Mundwinkel. „Ach, sieh mal an, Sie sind Paula? Dann mal rein in die gute Stube.“ Er rief nach hinten in die Wohnung: „Schnuckelchen, Überraschung!“
Aus dem Schlafzimmer kam die Stimme ihrer Mutter: „Volker, was ist denn los? Kannst du nicht einfach zurück ins Bett kommen?“
Paula war fassungslos. Da hatte also nicht nur sie ihre Geheimnisse. Ihre Mutter hatte einen Lover oder wie sagte man da? Wie lange ging das wohl schon, ohne dass sie davon wusste?
„Mama, ich bin‘s“ rief sie. Sie hatte keine Lust, ins Schlafzimmer zu gehen und ihre Mutter in eine merkwürdige Situation zu bringen.
„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Vermutlich haben Sie eine lange Reise hinter sich?“
Sie schaute Volker genauer an, während es im Schlafzimmer raschelte. Er wirkte sehr rüstig. Längere, nach hinten gekämmte weiße Haare verliehen ihm eine Art wissenschaftlichen Charme. Aber auf Intellektuelle stand ihre Mutter eigentlich überhaupt nicht. Na, sie würde es schon noch erfahren.
Da kam bereits ihre Mutter angestürmt und nahm sie in die Arme. „Paula, wo kommst du denn her mitten in der Nacht, Kind, und wie siehst du aus? Ist irgendetwas passiert?“
„Lass sie doch erst mal ankommen, Karin“, sagte Volker gutmütig und reichte Paula ein großes Glas Apfelschorle.
Sehr einfühlsam der Mann. Sie hatte schon befürchtet, er würde ihr jetzt einen Sherry reichen.
„Mama, das ist eine lange Geschichte. Wie wär‘s, wenn ich die morgen früh ausführlich erzähle? Ich bin einfach nur kaputt und wollte fragen, ob ich ein paar Tage bei dir unterkriechen kann?“
Ihre Mutter und Volker wechselten einen Blick, aus dem Paula nicht schlau wurde. „Komme ich ungelegen, habt ihr euch gerade erst kennengelernt?“
Lachend schüttelten beide den Kopf. „Nein, alles ok. Ist nur ein bisschen überraschend; erst lässt du wochenlang nichts von dir hören, dann stehst du plötzlich auf der Matte.“
„Ja, ich weiß“, sagte Paula schuldbewusst. „Alles weitere morgen früh. Ist das Sofa denn nun zu haben oder nicht?“
„Klar, ich bring dir Bettwäsche. Geh du mal unter die Dusche, die hast du nötig, glaube ich und rieche ich.“
Muttern wieder. Das war ja klar, hier geriet sie sofort wieder in ihre Kinderrolle. Aber Paula wollte ja wirklich nichts mehr als eine Dusche, um alles abzuspülen, den Schmutz und den Frust und die lange Fahrt. Und dann nur noch schlafen.
„Also Liebes, wir sehen uns morgen früh. Aber wir sind Spätaufsteher, also sei nicht so laut, ja?“ Ihre Mutter winkte huldvoll und zog dann Volker am Ärmel wieder ins Schlafzimmer.
„Seid ihr bloß leise“, knurrte Paula und stapfte ins Badezimmer, musste aber doch über ihre gutgelaunte Mutter und ihren neuen Volker schmunzeln.
Drei Tage später hielt Ralf es nicht mehr aus. Mehrfach hatte er versucht, Paula anzurufen. Immer kam aber „der Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar“.
„Ja, das merk ich doch selbst, ihr Deppen“, schimpfte er.
Er musste mit jemandem sprechen, der Paula kannte. Klar, der kleine Bene war nett, aber machte sich selbst langsam Sorgen, warum Paula nicht zurückkam. Er hatte die Versorgung der Ziegen übernommen. Ralf lief zur Schreinerei. Sven hatte gegen fünf Feierabend. Das wusste er noch aus seiner Spionagezeit, als er Sven und Paula ab und zu beobachtet hatte.
Er klopfte beim Schreiner Böker und Sven öffnete ihm. „Ralf? Wenn du den Meister sprechen willst, der ist schon weg.“
„Nein, dich will ich sprechen. Wann hast du Feierabend?“
„Muss nur noch aufräumen, dann bin ich fertig.“
„Kann ich was helfen?“
„Nein, warte einfach kurz.“
Sven räumte zügig seine Werkzeuge auf und stand wenige Minuten später vor Ralf.
„Wir könnten was trinken gehen, oder du kommst mit zu mir?“
„Können wir das nicht hier klären, weißt du, ich
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