Paula geht
für den Schlamassel gar nichts konnte, gab ich mir die Schuld an allem. Schließlich haben meine Mutter und meine Schwester mir den Vorschlag gemacht, dass Bene bei meiner Schwester wohnen und dort als ihr jüngstes Kind aufwachsen könnte. Meine Schwester und ihr Mann haben im Dorf erzählt, sie hätten ihn adoptiert. Wenig später habe ich dann hier den Job gefunden und mir das kleine Zimmer genommen. So konnte ich Bene weiterhin besuchen, so oft es ging. Ich dachte, er wäre gut versorgt und ich könnte neu anfangen. Und vielleicht eine Frau und damit eine Mutter für Bene suchen.“
Er schwieg und fuhr dann langsam und stockend fort. „Als ich dich kennengelernt habe, wurde mir plötzlich klar, dass das überhaupt nicht richtig war, was ich getan oder einfach nur zugelassen habe. Bene war und ist nicht glücklich dort, obwohl meine Schwester ihn liebt. Er ist immer so dankbar, wenn wir etwas alleine machen, und versucht tapfer, nicht zu weinen, wenn ich gehe. Aber ich dachte, diese Lösung wäre immer noch besser, als mit so einem Vater zusammenzuwohnen.“
Paula fühlte sich ganz schwer. Was für eine Last musste Bene tragen, keinem seiner Kumpels von seinem echten Vater erzählen zu können. Aber hatte er überhaupt Kumpels? Dann sagte sie leise: „Ich kann mir nur gar nicht vorstellen, was ich damit zu tun habe.“
„Doch“, erwiderte Sven heftig, „du kommst hierher, völlig ohne Netz und doppelten Boden, setzt alles auf eine Karte und versuchst deinen Traum zu leben, ohne hier eine Menschenseele zu kennen. Nimmst dafür sogar drei stinkige Ziegen in Kauf ...“
Paula lächelte. „Aber ich hatte von Anfang an Menschen, die mich unterstützt haben.“
„Ja, das hatte ich doch auch – und trotzdem habe ich mir nichts zugetraut.“
„Und jetzt?“, fragte Paula vorsichtig.
„Jetzt möchte ich mit Bene zusammenleben. Aber ich wollte dir eigentlich erst von der Idee erzählen, wenn ich das geschafft hätte.“
„Hast du es geschafft?“
Sven schüttelte den Kopf. „Aber ich musste dir jetzt alles erzählen, sonst hätte ich dir nicht mehr gegenübertreten können.“
Das verstand Paula, es war auch wirklich höchste Zeit gewesen.
Ralf stand mit seinen Erntehelfern auf dem Feld. Der Winterweizen musste dringend eingefahren werden, es war schlechtes Wetter angesagt. Eigentlich hätte seine ganze Aufmerksamkeit bei der Ernte sein müssen. Der Getreidetank war schon wieder voll und er sah zu, wie das gelbe Korn durch das Abtankrohr auf den Anhänger strömte, den Sergej mit dem Traktor neben den Mähdrescher gefahren hatte. Sie bildeten ein eingespieltes Team, schon seit Jahren arbeitete er mit den gleichen Leuten zusammen. Zwei Frauen luden die gepressten Strohballen, die der Mähdrescher auswarf, auf einen weiteren kleineren Anhänger.
Ralf musste ständig an den gestrigen Abend denken. Das beschwingte Gefühl war immer noch nicht aus seinem Körper gewichen, auch wenn es einen Wermutstropfen gab. Er war richtig erstarrt, als Sven Paula vor allen Leuten auf den Mund geküsst hatte. Er wusste ja, dass sie Freunde waren. Aber ein Paar? Vielleicht hatte er es nicht sehen wollen, weil es einfach nicht in seiner Vorstellungskraft lag, dass eine Frau sich mit einem seinen Berechnungen nach mindestens fünfzehn Jahre jüngeren Mann einlassen könnte, wenn sie kein männermordender Vamp wäre. Und den Eindruck hatte er bei Paula nun wirklich nicht.
Ralf, du bist eben ein erzkonservativer Knochen, schimpfte er mit sich. Die Zeiten haben sich geändert. Schließlich hatte sich die junge Elli auch mit ihm eingelassen, wo war der Unterschied? Biologisch macht es so herum Sinn, dachte er. Ich hätte sie versorgen können, sie hätte mir Kinder schenken können. Aber wie das so war zwischen Paula und Sven und wie lange das schon ging? Immerhin konnte er Svens Zorn bei seiner Beichte jetzt einordnen. Aber bei allem war er wirklich sehr fair gewesen. Und es hatte richtig Spaß gemacht, die zwei Tage mit ihm zusammenzuarbeiten.
Ach, es war insgesamt eine lustige Truppe gewesen. Sven hatte noch zwei Kumpels, die Zimmerleute waren, angeschleppt und zu viert waren sie schnell vorwärtsgekommen. Und die Mühe war es allemal wert. Paulas überraschtes Gesicht würde er nie vergessen. Sie war so dankbar, dass es ihn schon wieder beschämte. Nun, heute müsste sie eigentlich den Brief finden. Damit, so sagte er sich, hätte er jetzt seine Schulden bei ihr beglichen. Es war ein gutes Gefühl, alles wieder ins
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