Pauschaltourist
könne und nur wenig mit Schutz oder Hygiene beim Sex zu tun hätte.
Auf der Suche nach einer Apotheke entdeckte ich eine Currybude, und obwohl die Würste innerhalb des Darms bereits trocken-verkrustet
waren, was ich normalerweise widerlich fand, schmeckten sie nach einer Woche kanarischem Gerontenfraß einfach unglaublich
gut. Anschließend holte ich in der Apotheke das Insektizid ab, mit dem ich meinen Schambereich und – sicherheitshalber, wie
Frau Doktor erklärt hatte – Achsel- und Kopfhaare behandeln sollte. Danach betrat ich erstmals in meinem Leben ein Internetcafé,
eine etwas schmierig wirkende, schummrig beleuchtete Bude, deren Computerarbeitsplätze ausschließlich mit Leuten besetzt waren,
die den Eindruck erweckten, genau in diesem Augenblick Folgeanschläge zu Nine-Eleven zu planen. Ich bestellte bei Amazon einen
neuen Laptop, einen iPod und, was zu meiner Überraschung auch möglich war, zwei Exemplare der geklauten Jeans. Alles würde
bereits morgen geliefert werden. Das fand ich gut, wie auch die Tatsache, dass es nicht mehr im Schritt juckte.
Schließlich saß ich wieder in der Wohnung, vermisste Stan und Ollie und wartete darauf, in die Kneipe gehen zu können, um
Steini zu treffen. Zweimal erwischte ich mich dabei, Silkes Nummer zu wählen, beendete beide Versuche aber rechtzeitig. Sie
hatte |103| nicht mal eine Nachricht hinterlassen. Vielleicht war es besser so. Nur: Besser als was?
Steini kehrte vom Klo zurück. Ich verspürte den starken Impuls, aufzustehen und ihn zu umarmen, weil er in meiner derzeitigen
persönlichen Bilanz den einzigen Aktivposten darstellte. Ich gab dem Impuls nach. Steini ließ es über sich ergehen.
»Dir muss es ganz schön beschissen gehen«, kommentierte er, während wir uns wieder setzten. Dabei sah er zum Tresen, wo Lisa
einem hackedichten Stammgast den nächsten Schnaps auszureden versuchte.
Ich nickte. »Übermorgen geht’s nach Marokko, meine Bude ist leer, ich habe gerade gut fünfzehnhundert Euro für Dinge geblecht,
die mir von einem sächsischen Engel gestohlen wurden, meine Reisebegleiterin scheint ein Alkoholproblem zu haben, und ich
muss meinen Schambereich mit Insektenvertilgungsmittel behandeln. Fehlt noch was? Du und die Tatsache, dass Sitz offenbar
meine Story mag, sind derzeit meine einzigen Lichtblicke. Ich weiß echt nicht, ob ich weitere fünf Wochen durchstehe. Ich
überlege ernsthaft, den Job hinzuschmeißen.«
Auf diese – halbherzige – Idee war ich tatsächlich erst in diesem Augenblick gekommen.
»Du wirst dich daran gewöhnen«, behauptete mein Freund. »Immerhin ist es Urlaub, oder?« Er schmunzelte. »Andere Leute freuen
sich das ganze Jahr lang auf so was.«
»Genau das verstehe ich nicht.« Ich fuchtelte in Richtung Tresen, Lisa nickte, legte der Schnapsleiche in spe kurz die Hand
auf die Schulter und zapfte dann unsere nächste Runde.
»Vermutlich ist das dein – euer – Problem. Ihr seht nur das Negative, suhlt euch in eurer journalistischen Arroganz, macht
euch über diese Leute lustig.«
Ich schüttelte den Kopf. Ganz stimmte das meiner Meinung nach nicht. »Ich komme mir vor wie ein Freier, der tausend Euro für
eine heftige Liebesnacht abdrückt und dann in zwei Minuten |104| einen abgeschüttelt bekommt, um anschließend auf die Straße gesetzt zu werden. Nackt. Ich meine, klar, in solchen Urlaubsgebieten
kann man nicht erwarten, individuellen Luxus und entspannende Umgebung zu erleben, aber das genaue Gegenteil davon muss es
doch auch nicht sein, oder? Was
erwarten
diese Leute eigentlich?«
»Tapetenwechsel. Sonne, Meer, Strand. Sich mal für zwei Wochen völlig anders verhalten zu dürfen.«
»In Massentierhaltung? Mit Verpflegung, die man nicht mal einem Hund vorsetzen würde? Abgefertigt, durchgereicht, verarscht?
Und dann auch noch im ständigen Kampf um Liegeplätze und Ablagefächer? Betreut von Personal, das in amerikanischen Hochsicherheitsknästen
angeworben wurde? – Wo ist da der Spaß?«, fügte ich nach einer kurzen Pause an.
»Die meisten empfinden das nicht so, nehme ich an. Du darfst nicht vergessen, welche Klientel hier bedient wird. Für viele
stellen saubere Zimmer, regelmäßiges Essen, ein Pool und ein bisschen Sonne schon traumhafte Bedingungen dar.«
»Wir sprechen hier doch nicht von ALG-II-Empfängern, mein Lieber.«
»Na ja, aber auch nicht von Leuten mit sechsstelligen Gehältern.« Steini lächelte. »Ich bleibe dabei. Eure
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