Pech und Schwefel (German Edition)
übernehmen muss«, meinte Nomarac. »Ist das so schlimm, wie Raukarii zu schlagen?«
»Schlagen?« Sein Bruder zuckte zusammen.
Bedras Gesicht wirkte einen Moment ausdruckslos, dann lächelte sie. »Du wirst niemanden schlagen. Du wirst ein Bote sein und schnell rennen müssen. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Du darfst dich dabei nämlich nicht von den Wachen erwischen lassen. Aber wenn du das nicht könntest, hätte Endis dich niemals dafür ausgewählt.«
»Du passt auf dich auf, oder?« Ronor sah ihn besorgt an.
»Klar.« Nomarac beruhigte ihn mit einem selbstbewussten Ausdruck auf dem Gesicht. Er dachte an Bedras Worte, die ihn selbst ein wenig Stärke verliehen, denn in Wahrheit war er unglaublich aufgeregt. »Außerdem habe ich jetzt das Messer. Wenn jemand etwas von mir will, dann kann ich ihm mein Messer zeigen.« Zur Demonstration zog er es wieder hervor, stand auf und kämpfte gegen imaginäre Raukarii.
Alle drei lachten.
»Dann musst du mir jetzt zeigen, was du machst«, forderte Nomarac seinen Bruder auf.
Ronor erhob sich, nahm ein unsichtbares Tablett in die Hand und versuchte Osirs und Pians überfreundlichen und gleichzeitig zurückhaltenden Bewegungen so gut es ging nachzuahmen, was am Ende für lautes Gelächter sorgte.
Aus diesem ersten Tag wurde eine Woche. Aus einer Woche wurde ein Monat, und aus den Monaten wurden Jahre. Insgesamt vergingen acht wie im Flug, während die Zwillinge unaufhörlich im Haus Endis Teptur lebten und arbeiteten. Aus den neunjährigen Jungen waren zwei junge Raukarii von siebzehn Jahren geworden. In der Gesellschaft Leven’raukas galten sie dennoch als Kinder, obwohl sie das Aussehen und das Temperament von Jugendlichen hatten. Erst mit Hundert würden sie als Erwachsene angesehen werden. Sie verrichten tadellos ihre Arbeit, nur selten gab es Rügen. Mit der Zeit konnten sie sich auch immer weniger mit Alori treffen, denn die anstehenden Arbeiten ließen ihnen oft kaum genügend Raum miteinander zu reden. Nur beim gemeinsamen Frühstück sahen sich die Brüder und in der Nacht, wenn sie am glimmenden Kamin auf ihren Strohmatratzen schliefen.
Äußerlich hatten sich die Zwillinge auch sehr verändert. Nomarac trug inzwischen seine Haare sehr kurz. Ronors lange Haare waren dagegen gewachsen und reichten ihm fast bis zur Hüfte. Er band sie oft zu einem Pferdeschwanz zusammen oder machte sich einen Zopf. Das wiederum kam gut bei den allabendlichen Gästen an.
Aber das war nicht das einzige Merkmal, was die eineiigen Zwillingsbrüder voneinander unterschied. Durch die täglichen Botengänge und die Aufträge, die er mit Rhyn, seinem Bruder und ihrem Kumpan zum Geld einzutreiben und wegen anderer Geschäfte für Endis Teptur zu erledigen, hatte sich Nomaracs Körper verändert. Er war athletisch und zeugte von Kraft. Von Rhyn erhielt er sogar private Übungsstunden im Faust- und Schwertkampf. Er beherrschte es, mit einem Dolch und seinem geliebten Messer sehr gut umzugehen und sich zu verteidigen. In den vergangenen zwei Jahren hatte er so viel Ehrgeiz entwickelt, weil er eines Tages gerne als Soldat bei den Stadtwachen in Zyrakar dienen wollte. Aber vor allem hatte er sich in den Kopf gesetzt seinen Bruder in jeder Situation beschützen zu können. Das wiederum hatte auch seinen Charakter geprägt. Er war mit den Jahren immer verschlossener geworden, nur seinem Bruder vertraute er seine wahre Gefühle und Gedanken an.
Ronor hatte sich äußerlich auch sehr verändert. Aus ihm war, wie Alori es immer zu sagen pflegte, ein sehr attraktiver junger Raukarii geworden. Doch sein Bruder stand ihm in diesem Punkt kaum nach. Im Vergleich zu Nomarac war sein Körperbau jedoch schlank und anmutig. Er trug neue Pagenkleidung, denn aus der kleinen Seidenhose und der Weste war er längst heraus gewachsen. Von Endis persönlich hatte er sogar einen goldenen Armreif geschenkt bekommen. Einige Ringe zierten seine schmalen Finger. Inzwischen hatte er sich an seine allabendliche Garderobe gewöhnt, selbst an die Schminke um die Augen herum. Ronor hatte viel von den beiden Raukarii Osir und Pian gelernt, wurde sogar öfter gelobt.
In diesen acht Jahren waren die Erinnerungen an ihr altes Leben, das Leben von Kindern, mehr und mehr verblasst. Für sie zählte nur noch die Gegenwart. Sie waren Ronor und Nomarac und gehörten, wie alle anderen zu den Raukarii, die für Endis Teptur arbeiteten, und der ihnen dafür ein warmes Dach über dem Kopf und immer Essen zur Verfügung
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