Pechvogel: Roman (German Edition)
es?« Das Roller-Mädchen schenkt mir ein bösartiges Lächeln.
Und dann dämmert es mir.
Das Pech, das ich vor drei Jahren in Tucson gewildert habe, wurde benutzt, um ihren Vater umzubringen. Und die beiden haben mich über den Käufer ausfindig gemacht, von dem man vermutlich nicht mehr in der Gegenwartsform sprechen kann. Und ich werde es ihm bald gleichtun. Also, ich habe ja nichts gegen die Vergangenheitsform. Er sagte. Sie sagte. Sie waren. Ich war. Die Leute kommen gut mit der Vergangenheitsform zurecht. Trotzdem ist mir die Gegenwart lieber. Insbesondere, wenn die Möglichkeit besteht, dass ich keine Zukunft mehr habe.
Grammatik war noch nie mein Ding.
»Die letzten drei Jahre haben wir damit verbracht, erst den Käufer und dann dich zu finden«, erklärt das Roller-Mädchen. »Es war nicht leicht. Aber meine Schwester hat sich geweigert aufzugeben. Ihrer Ansicht nach sind wir es unserem Vater schuldig. Und sie hatte recht.«
Egal, wie weit man läuft, früher oder später holt die Vergangenheit einen ein.
»Zu dumm«, fährt das Mädchen fort. »Denn weißt du was? Auf eine gewisse Art bist du tatsächlich … irgendwie niedlich. Aber ich sagte es ja bereits: Ich habe keinen Sex mit Männern, die Pech wildern.«
Irgendwo hinter mir höre ich, wie sich eine Tür öffnet, und das Geräusch von Wasser wird lauter.
»Hört mal«, sage ich, »ich wusste nicht, wofür das Pech eingesetzt werden sollte. Ich weiß nie, was meine Käufer mit der Ware machen, die ich ihnen liefere.«
Das Roller-Mädchen schüttelt den Rucksack ab und öffnet ihn. »Meinst du, ein Waffenhändler sollte auch jede Verantwortung von sich weisen dürfen, wenn Kunden mit seiner Ware töten?«
Ehe ich darauf antworten und um mein Leben betteln kann, ist Tuesday bereits hinter mich getreten. Das Roller-Mädchen reißt ein Stück Klebeband ab, und kurz darauf ist mein Mund zugeklebt.
Noch ein Grund, aus dem Glückswilderer sich besser nicht mit Frauen einlassen sollten: Am Ende landet man gefesselt und geknebelt in einem verlassenen Lagerhaus.
In meinem Fall war da wohl ein schlechtes Urteilsvermögen im Spiel.
Sobald mein Mund verklebt ist, schnappen sie sich meine Füße und schleifen mich über den Boden in Richtung Tür. Die Sonne ist fast untergegangen, und in der Ferne sehe ich die Lichter von der Bay Bridge und auf Treasure Island in der Bucht glänzen.
Nicht gerade das Ende, das ich mir langfristig gewünscht hätte. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass ich eines Tages genug Glück gewildert haben würde, um mich auf einer tropischen Insel zur Ruhe zu setzen. Dort würde ich dann in einer Hängematte zwischen Palmen liegen, Piña Coladas trinken und mich vom Regen überraschen lassen – so wie in The Piña Colada Song von Rupert Holmes.
Stattdessen bin ich zusammengeschlagen, gefesselt und geknebelt worden und werde nun durch die Gegend geschleift, wobei mich am Ende dieser Reise wahrscheinlich ein Sturz ins kalte Wasser der San Francisco Bay erwartet. Außerdem ist mein Hemd hochgerutscht, und mein nackter Rücken schrammt über den Betonboden.
Ich schätze, jetzt ist es zu spät, um reinen Tisch zu machen und noch mal von vorn anzufangen.
Tuesday und das Roller-Mädchen zerren mich durch die Tür und dann zum Ende des Piers, der dunkel und verlassen daliegt. Wasser klatscht gegen die Säulen unter uns. Vom anderen Ende des Gebäudes dringt der Lärm von Menschen, Verkehr und Straßenbahnen zu uns herüber. Ich weiß nicht, an welchem Pier wir sind, doch dem Ausblick auf die Bay Bridge nach zu urteilen tippe ich darauf, dass wir uns südlich von Pier 23 befinden. Pier 19 oder 17 vielleicht. Aber was spielt das für eine Rolle? Schließlich stehe ich hier kurz davor, das zu werden, als das mein Vater mich stets bezeichnet hat: Ballast.
Jetzt ziehen die beiden Frauen mich zum Geländer. Und weil ich durch dieses nicht hindurchpasse, werden sie mich wohl über die Brüstung werfen. Oder sie hacken mich in Stücke und schmeißen die dann über das Geländer. Um ehrlich zu sein, wäre mir die erste Möglichkeit lieber. Nicht dass ich mich aufs Ertrinken freuen würde, aber ich schätze, meine Chancen zu überleben steigen, wenn ich noch all meine Körperteile beisammenhabe.
Tuesday beugt sich über mich, während das Roller-Mädchen hinter mir Stellung bezieht. »Dee meinte, dass wir dich k.o. schlagen sollten, bevor wir dich über die Brüstung schmeißen«, sagt Tuesday. »Aber mir ist es lieber, wenn du den
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