Pelagia und der rote Hahn
eine Mauerspalte und tat noch einen Extrahüpfer, damit die hochspringenden Spritzer sie nicht erwischten.
Da sie sich sowieso verlaufen hatte, wäre es sinnlos gewesen umzukehren, und so ging sie einfach geradeaus weiter. Allerdings, aus Erfahrung klug geworden, schaute sie jetzt immer wieder ängstlich nach oben. Den Spuren nach zu urteilen, die allenthalben zu beobachten waren, schüttete man in dieser Gegend auch weniger harmlose Abfälle als Seifenwasser aus dem Fenster.
Nur möglichst schnell wieder heraus aus diesem Gassengewirr auf eine normale Straße!
Die Gasse führte zu einem Kloster, und von da ab wurde es leichter. Pelagia folgte der Klostermauer und kam zu einem kleinen Platz. Dort fragte sie den erstbesten Passanten, der europäische Kleidung trug, wie man zum Damaskus-Tor käme.
Und Salachs Haus zu finden war dann wirklich ganz einfach.
Die Nonne blieb neben einem arabischen Straßencafe stehen, sagte »Salach« und tat, als halte sie Zügel. Man verstand sie ausgezeichnet und antwortete in derselben Sprache: geradeaus, dann nach rechts, da siehst du eine Tür (ein in die Luft gezeichneter Halbkreis und mit der Hand »Tock-tock-tock«).
Auf ihr Klopfen hin öffnete der Hausherr selbst, von dem sie sich vor weniger als drei Stunden verabschiedet hatte.
»Sie werden sich bestimmt wundern«, sagte die Besucherin, noch ganz außer Atem. »Aber ich habe ein Anliegen an Sie.«
Als Salach seinen Fahrgast plötzlich wieder vor sich sah, riss er erst einmal erstaunt seine brauen, etwas vorstehenden Augen auf. Als er dann aber begriffen hatte, was sie von ihm wollte, winkte er erschrocken ab.
»Nein! Unmöglich! Unmöglich Anliegen! Kommst du Besuch – gern willkommen. Kaffee trinken, Pachlawa essen, später reden Anliegen.«
Pelagia wollte sagen, dass ihr Anliegen keinen Aufschub dulde, aber dann erinnerte sie sich daran, dass die Orientalen mit ihrer Etikette sehr empfindlich waren, und fügte sich. Schließlich, was konnten jetzt ein paar Minuten mehr oder weniger noch ändern, und sie kannte in Jerusalem sowieso keinen anderen Kutscher.
Von außen machte Salachs Haus keinen sehr einnehmenden Eindruck: bröckelndes Mauerwerk, Müll lag vor der Tür herum. Polina Andrejewna bereitete sich darauf vor, einem bedrückenden Anblick von Armut und Verwahrlosung zu begegnen. Doch im Inneren erwartete den Gast eine Überraschung.
Das Haus bildete ein geschlossenes Viereck mit einem offenen Hof in der Mitte. Die Innenwände des Gebäudes strahlten in hellem Weiß, und mitten im Hof erhob sich unter einem Baldachin ein ausgesprochen gemütliches Podest, das ganz mit Teppichen ausgelegt war.
Pelagia erinnerte sich an einen Reisebericht, den sie kürzlich gelesen hatte: Die orientalische Behausung, hieß es da, lege im Unterschied zur europäischen keinen großen Wert auf den äußeren Anschein, sondern eher auf die Bequemlichkeit im Inneren. Das sei der Grund, warum die Orientalen so phlegmatisch und wenig wissbegierig seien – ihre Lebenswelt ist ihr Wohnraum. Europäer hingegen fühlten sich unter ihrem eigenen Dach nicht wohl, deshalb streiften sie in der ganzen Welt umher, erforschten und eroberten ferne Länder.
Aber der orientalische Weg ist der richtigere, dachte Polina Andrejewna plötzlich und ließ sich wohlig auf die weichen Kissen sinken. Wenn das Leben die Suche nach sich selbst ist, warum muss man dann erst ans Ende der Welt rennen? Bleib zu Hause, trink Kaffee mit leckerem Honiggebäck dazu und widme dich deiner inneren Welt.
Eine dicke Frau mit eindrucksvollem Bartwuchs auf der Oberlippe stellte eine Schale voller kandierter Früchte auf dem Teppich ab und goss Kaffee ein.
Salach wechselte auf Arabisch einige Sätze mit ihr, dann stellte er sie vor:
»Fatima, Ehefrau.«
Fatima kam nicht auf das Podest, sondern hockte sich daneben auf die Fersen nieder. Die Kaffeekanne behielt sie in der Hand, und immer, wenn der Gast auch nur für einen Augenblick die Tasse sinken ließ, goss sie nach.
Nachdem Pelagia solcherart volle fünf Minuten für die Etikette aufgewendet hatte (schönes Haus, wunderbarer Kaffee, nette Ehefrau), kam sie auf den Zweck ihres Besuchs zu sprechen: Sie müsse nach Megiddo. Was das koste.
»Gar nix«, antwortete der Hausherr und schüttelte den Kopf.
»Wie, nichts?«
»Ich bin nich Verrückter. Egal Geld fahre ich nich.«
»Fünfundzwanzig Rubel«, sagte Polina Andrejewna.
»Nein.«
»Fünfzig!«
»Und wenn tausend!«, rief Salach zornig und klatschte sich
Weitere Kostenlose Bücher