Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
Plackerei im Lager machte die Mädchen bald zu verbrauchten Frauen mit hängenden Schultern, ledrig zäh und hart im Geiste, noch ehe sie das mittlere Alter erreicht hatten.
Tia wußte das. Anders als so viele Shumai, deren Bindung an das wilde Leben im Freien absolut ist, hatte sie genug vom seßhaften Leben der Emeri mitbekommen, um selbst für das Dach eines Sklavenhauses dankbar zu sein, wenn ein heftiger, kalter Regen kam. Und im Palast des Krugistoran, so degene-riert und luxuriös er auch war, hatte man sie ebenfalls zivilisiert behandelt. Sie war zu der Erkenntnis gelangt, daß die Shumailager oft entsetzlich stanken, auch wenn die Leute persönlich so sauber waren, wie es ihnen ihre Lebensweise gestattete.
Sie sah, daß Jestak stets daran festhielt, sich und seine Kleidung regelmäßig zu waschen, daran war er so gewöhnt, daß er sich sogar auf den trockenen Ebenen, wenn die anderen in der Gruppe von der Reise allmählich immer schmutziger wurden, einigermaßen sauber hielt. Für Tia war das primitive Leben ein wenig bedrückend geworden, obwohl sie unaussprechlich glücklich war. Für die Shumai wären dauerhaftere Gebäude sicherlich ein Gewinn, selbst wenn man sie nur in Abständen aufsuchte.
Schon hatte Iam, der ein Sklave der Emeri gewesen war, die Gruppe verlassen, um nach Süden zu ziehen.
Aber er hatte nicht vor, seine frühere Lebensweise wiederaufzunehmen. Er wollte zu seiner Bande sto-
ßen, sagte er, und dann mit ihnen zur Biegung des Root-Flusses ziehen, wo er sich auskannte. »Ich habe gesehen, wie die Emeri Landwirtschaft betreiben und Rinder aufziehen«, sagte er. »Es ist keine schlechte Idee. Ich kenne eine Stelle, wo ich mich niederlassen und bleiben kann. Ich werde eine feste Hütte bauen.
Dann will ich Sachen anpflanzen und mir einige wilde Rinder einfangen, um sie so zu halten, wie es die Emeri machen. Wenn dann die Blizzards kommen, bin ich in meinem Haus, kann jede Menge Holz ver-brennen, und die Rinder sind genau da, wo ich sie brauche. Dort ist das ganze Land leer – außer wenn meine Verwandten kommen. Seht euch meine Beine an. Zum Laufen taugen sie nicht mehr viel.«
Jestak fragte sich, ob das wohl ansteckend sein würde. Wenn ja, dann wurden die Shumai ein anderes Volk. Aber es war deutlich zu sehen, daß die meisten von ihnen mit ihrer Lebensweise völlig zufrieden waren und es gar nicht anders haben wollten.
Am Abend, ehe sie das Lager am Brask-Fluß verließen, saß Ary bei Jestak und Tia. Sie war beunruhigt, weil Jestak sich bei einem einfachen ›Na,na‹-
Spiel so ungeschickt anstellte. »Du mußt bei uns bleiben«, sagte sie. »Das ist gut für deinen Verstand. Wir werden es dir schon beibringen.«
»Ich würde gerne bleiben, aber ich muß nach Hause, nach Nordwall. Wirst du uns dort einmal besuchen?«
»Wenn wir in die Nähe kommen. Wirst du mich dann hineinlassen, damit ich die Stadt von innen se-he?«
»Das möchte ich gerne, Ary. Es hängt vom Rat ab.«
»Warum sollten sie mich draußenhalten wollen?«
»Wir sind uns nicht immer freundlich gesinnt, dein Volk und das meine. Meine Leute halten es für sicherer, drinnenzubleiben.«
»Nun, wir würden euch nichts tun. Das weißt du.«
»Ja, aber du kennst mich. Fast alle Shumai und Pelbar kennen einander aber nicht. Jetzt leih mir deine Tonkiste, dann singe ich dir ein Lied vor.« Jestaks Lied war ein bekanntes Wiegenlied der Pelbar, das er leicht verändert hatte, um es Arys Dialekt anzupas-sen: ›Die Eule ruft von starkem Felsenwalle.
Er schließt zusammen so sich wie ein einz'ger Stein.
Gib uns Aven, Sicherheit in dieser Halle.
Die Wälle schweigen. Die Eule ist jetzt fort.
Das Mäuslein duckt sich tiefer in die Muld drunt in den Wäldern, sucht nach sich'rem Ort.
So, liebste Aven, schenk uns deine Huld.
Vor Shumaispeer und der Sentani Pfeil, beschirme uns und unsrer Kinder Leben.
Sei unsrer starker Festungsmauern Teil, schärf unsrer Wächter Auge auf den Zinnen, und mach die wilden Horden ziehn von hinnen.‹
»Das ist ein Lied, das man Kindern vorsingt, wenn sie Schlafengehen«, sagte Jestak.
»Oh«, murmelte Ary. »Haben die Kinder Angst?«
»Manchmal. Aber sie sind sich der Verteidigungsanlagen der Pelbar sicher, bald erfahren sie von ihnen und davon, wie man sie wirksam werden läßt. Je-dermann ist daran beteiligt.«
»Jes«, sagte Kod, »die Pelbar haben das alles doch sicher nicht nur gebaut, um sich vor uns abzuschlie-
ßen?«
»Ich glaube, das war einer der Hauptgründe,
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