Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
dann am Abend erneut gefroren ist – nur natürlich um vieles größer.
Aber zurück zur Geschichte. Als wir uns den Inseln näherten, sah ich einen kleinen Hafen in einer gro-
ßenteils felsigen und steilen Küstenlinie, mit vielen Seevögeln – unseren Wintermöwen ziemlich ähnlich, aber von großer Vielfalt –, die an der Küste durch die Luft schwirrten. Wir sollten auf Salzstrom landen, in der kleinen Stadt Godspalm, so benannt, weil die Leute glauben, ihre Gottheit habe den sicheren Hafen bereitgestellt und ihn wie eine riesige, menschliche Handfläche geformt.
Als erstes fiel mir auf, daß es keine Soldaten gab und nur zwei spärlich bewaffnete Wächter. Eine gro-
ße Menschenmenge war gekommen, um die seltenen Besucher zu sehen; man hieß uns freimütig willkommen, obwohl wir Fremde waren, deren Absichten niemand kannte, und lud uns zum Essen und Trinken in die Häuser ein. Es war erfreulich, aber auch sehr ermüdend, weil man uns alle sehr eingehend über die Vorgänge an der Küste ausfragte; und die Inselbewohner waren so offen und aufrichtig, daß es mir schwerfiel, meine eigenen, kürzlichen Schwierigkeiten in Innanigan zu verschweigen. Ich dachte, es wäre gefährlich, völlig Fremden zu erzählen, was mir zu-gestoßen war, besonders, was ich auf der Flucht getan hatte. Sie waren so reizend und freundlich. Es war, als würden wir einen Shumai in diesem Saal begrü-
ßen, ihm zu essen geben und ihn befragen, ohne an seine Waffen zu denken – denn ich trug ein Kurzschwert –, und sie verhielten sich völlig freundlich und offen.
Ich hatte nie meine Pelbarkleidung oder meinen runden Haarschnitt abgelegt, daher wußten sie, daß ich nicht aus der gleichen Gesellschaft stammte wie die Küstenbewohner, und als die Leute von mir er-fuhren, daß ich aus dem fernen, unbekannten Westen kam, wurde es still. Man stellte mir ruhigere und präzisere Fragen und unterzog mich einer gründlichen Untersuchung. Ich verstand das nicht. Erst spä-
ter sollte ich erfahren, daß es in ihrer Religion einen Propheten gab, der aus der tiefen Wildnis des Westens nach Godspalm kommen sollte. Irgendwie glaubten sie, ich sei dieser Prophet, obwohl ich ihnen versicherte, daß ich zwar religiös sei, aber kein Priester Avens, ja nicht einmal ein frommer Eiferer, sondern Schmied aus einer Familie von Schmieden.
Bald ließen sie mich mit Metall arbeiten und bestanden darauf, daß ich nicht in dem kleinen Gebäu-de am Hafen lebte, wo ich meine Tätigkeit als Agent ausüben sollte, sondern bei einem alten Paar weiter vom Wasser entfernt, nach Westen hin. Gegen Sonnenuntergang konnten wir von der kleinen Steinter-rasse dieses Hauses aus über die Finger des Hafens schauen, wo die Pelikane und Kormorane zu ihren Nistplätzen hereinflogen, und der hoch kreisende Al-batros, der seine Flügel weiter spreizen kann, als ein Mann groß ist, und mit unglaublicher Anmut und Freude über den rosa-orangefarbenen Himmel schwebte. Ich werde es nie vergessen, diese absolute Ruhe, bei der ich ihren bitteren Tee trank und Fisch-kuchen und Pfeilwurzelpudding aß; die Luft war so mild und frisch, daß sie die Arbeit des Tages wie ein Frühlingsschauer wegzuspülen schien.
Mein Gastgeber Irec trug immer eine braune Tunika mit Gürtel, die ihm bis unter die Knie reichte, und Sandalen. Er saß mit gekreuzten Beinen auf einer Steinbank. Er sprach gerne über Philosophie und Religion, natürlich besonders über seine eigene. Sie nennen ihre Gottheit einfach ›Gott‹. Bald entdeckte ich, daß diese Gottheit Aven so ähnlich ist, daß es sich erkennbar um dasselbe Wesen handeln muß. Viele der Gebote waren gleich. Ich erinnere mich gut daran, wie er eines Tages in ihrem Dialekt, der sich von dem der Innanigani nicht sehr unterscheidet, sagte: ›Geliebte, liebet einander, denn die Liebe kommt von Gott.‹«
»Diese Worte hat er gebraucht, Jestak?«
»Ja. Und ich gab zurück: ›Ihr Lieben, liebet jeden, denn die Liebe hat ihren Ursprung in Aven‹.«
»Gab es noch mehr Ähnlichkeiten?«
»Ja. Das war nur die erste. Aber sobald wir sie entdeckt hatten, begannen wir so viele aufzuspüren, wie wir nur konnten. Schließlich kamen wir zu der Ansicht, daß unsere beiden Religionen nicht nur aus einer Quelle stammen mußten, sondern sogar aus genau denselben Schriften.«
»Über diese Dinge müssen wir dich im Tempel weiter befragen, Jestak«, sagte Ommu, die Priesterin.
»Sehr gern, denn das ist ein Thema, das für uns alle von höchstem Interesse
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