Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
ist.
Natürlich verbrachte ich viel Zeit bei der Arbeit, denn bei ihnen war die Arbeit keine unwichtige Sache. Sie arbeiten mit großer Hingabe, vielleicht mehr um der Arbeit selbst willen als wegen materieller Belohnungen, für die sie keine große Wertschätzung hegen. Sie versuchen, alles, was sie tun, einfach und ausgezeichnet zu machen. Wie die Pelbar sind sie sehr diszipliniert, aber bei ihnen ist die Disziplin völlig freiwillig, nicht durch feindselige Nachbarn auf-gezwungen, denn ihre hohe Mauer ist das Meer, und die überwindet niemand. Die ganze Gesellschaft bewegt sich so ungebunden auf dem Wasser, wie wir es, wenn wir klein wären, auf einem Adlerrücken könnten, weit über allen feindlichen Speeren und Pfeilen. Das Gefühl der Freiheit war etwas, was ich nie zuvor empfunden hatte, obwohl ich etwas davon auf dem Heimweg erlebte, in der Einsamkeit der weiten Landschaft.
Wir arbeiteten hauptsächlich mit Silber, machten feine Arbeiten wie Schmuck, Knöpfe und Beschläge für Möbel und Kisten. Das meiste wird exportiert. Ich habe viel über das Metallhandwerk gelernt, was wir bisher nicht wußten, aber ich hatte nie Gelegenheit, es weiterzugeben, weil man mich in Pelbarigan wegen meines Schweigens nur die niedrigsten Arbeiten tun ließ. Ich lehrte die Insulaner meinerseits einige Fertigkeiten aus der Eisen-und Stahlbearbeitung unserer Gießerei in Pelbarigan und etwas von dem, was ich in Innanigan mitbekommen hatte, denn die Innanigani haben Verfahren bei der Herstellung mechanischer Geräte, die uns unbekannt sind.
Die Meisterin unserer Werkstatt war Irecs Frau hing, die als Feinsilberarbeiterin angefangen hatte. Das bedeutet nicht, daß die Frauen alles regierten, wie bei den Pelbar sondern vielmehr, daß jeder arbeitet, ohne Ansehen des Geschlechts, und daß es keine klar defi-nierten Rollen oder Statusebenen gibt. Nur während der ersten paar Jahre im Leben der Kinder sind die Mütter hauptsächlich für sie verantwortlich. Danach gibt es wirklich keinerlei geschlechtliche Unterschiede mehr. Natürlich machen die Männer die sehr schwere Arbeit, aber auch die Frauen verrichten Arbeiten, die körperlich sehr hohe Ansprüche stellen. Es gibt Geschlechtsunterschiede im Sport, aber ihre Spiele sind eher so ausgerichtet, daß möglichst beide Geschlechter gleichermaßen daran teilnehmen können.«
»Kaum eine ideale Gesellschaftsordnung, Jestak.«
»Ja, Protektorin. Aber dort scheint sie gut zu funktionieren. Natürlich gibt es nicht viel militärische Ausbildung, außer daß sie gerne ringen und Spiele mit Stöcken lieben. Und sie gehen bei der Jagd auf Fische und Vögel geschickt mit dem Bogen um.
Ich war schon mehrere Monate dort, als mich Irec und Iring zur Zeit der langen Winterferien auf eine lange Wanderung hinauf in die hohen Berge von Salzstrom mitnahmen. Ich wußte nicht, warum wir dorthin gingen, es sei denn, um Urlaub zu machen und uns die Berge, Gärten und Inseln anzusehen. Das taten wir auch während der beiden ersten Tage. Mit vielen Stellen sind Gedichte verbunden, die auf gro-
ße, aufrecht neben dem Weg stehende Steine geschrieben sind, und den Inselbewohnern bereitet es Vergnügen, von einem Gedicht zum anderen zu gehen und zu erraten, was die Verfasser damit meinten, denn die Verse sind sehr kurz und verschlüsselt.
Wir machten das auch eine Zeitlang, dann nahmen wir einen Seitenpfad, der sehr schmal und steil hinauf zum höchsten Berg auf Salzstrom führte. Dort stand in einer Art Nische in der Felswand, die bis zum Gipfel reichte, ein niedriges Steinhaus mit großer Grund-fläche, an das sich ein Tempel anschloß. Es war offensichtlich anders als die anderen Häuser, und hier traf ich mit dem Propheten von Salzstrom zusammen.
Wenigstens nennt man sie dort Propheten. Es ist eine winzige Gemeinschaft von Männern und Frauen, die im Zölibat leben und sich mit religiösen Studien und der Herstellung kleiner Holzgegenstände beschäftigen, die sie verkaufen, um ihren recht kärglichen Lebensunterhalt zu verdienen. Sie lebten in strenger Zucht. Und doch waren sie warmherzig und freundlich. Sie hatten offenbar von mir gehört, ehe ich zu ihnen kam.
Ich wurde in den Tempel geführt, wo alle zwanzig um einen sehr großen, kreisrunden Tisch saßen und auf mich warteten. An dem Tisch gab es auch Plätze für Irec und Iring sowie für mich. Es muß später Vormittag gewesen sein, als wir ankamen, und wir redeten den ganzen restlichen Tag miteinander, meistens über den Westen und
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