Pelbar 1 Die Zitadelle von Nordwall
Selbstachtung? Und doch dienst du ihm?«
»Ich bin ein Emer. Was habe ich für eine andere Wahl? Wenn du eine Emer wärst, wärst du froh, dem Krugistoran dienen zu dürfen.«
»Abstrakt vielleicht«, erwiderte sie, beugte sich herunter und legte ihm die Hände auf die Schultern, um herabzuspringen: »Aber persönlich weißt du so gut wie ich, daß er ein Monster an Genußsucht ist.
Kein Volk könnte stolz darauf sein, ihn zum Herrscher zu haben.«
»Unterschätze ihn nicht. Er ist ein äußerst scharfsichtiger Mann.«
»Er kann nicht einmal über seine eigene Wampe blicken – dazu ist sie zu dick. Er hat sich so sehr auf sich selbst konzentriert, daß er sein Volk und dessen Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnimmt. Warum widersprichst du mir? Du siehst es doch selbst. Jeder Narr könnte es sehen. Komm mir nicht mit dem offiziellen Gerede! Ich werde dich nicht verraten.«
Prestiginagi antwortete nicht, sondern wandte sich von ihr ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Sie lief um ihn herum und nahm ihn wieder bei den Schultern. »Du kommst auch mit! Du mußt mir helfen. Nur mit Escriptis Hilfe allein könnte ich nie hier herauskommen. Und ich kann dir helfen, in den Bergen zu überleben.«
»Du brauchst deine Reize nicht an mir auszupro-bieren«, sagte Prestiginagi und packte ihre Handge-lenke, um sie von seinen Schultern zu nehmen. Er merkte, daß er es nicht konnte. Sie war zu stark und er zu alt.
»Ich versuche nicht, dich zu becirzen. Wer möchte das schon? Du bist ohnehin ein alter Mann, und ich gehöre weder dir noch sonst jemandem. Nun, jemandem bin ich verpflichtet, aber die Schuld werde ich vielleicht nie einlösen. Gleichgültig. Verstehst du nicht? Du bist der einzig vernünftige Mensch im Umkreis, und selbst du bist so voll von deiner Spießigkeit, daß du nicht klar sehen willst. Komm! Wir haben nicht alle Zeit der Welt.« Er sagte nichts. »Was tun alle diese Männer hier? Schützen sie den Schmalztopf vor ein paar Fliegen?«
»Wenn es dich etwas angeht, dann nur, weil einige von deinen Freunden vor einiger Zeit eine Patrouille getötet haben und noch nicht ausgelöscht sind.« Tia schrie leise auf und sprang wieder auf den Tisch.
»Die ganze Patrouille? Wie viele?«
Prestiginagi schüttelte den Kopf. »Es ist etwas Neues«, sagte er. »Es wird ernst. Bald könnte es zu einem Zusammenstoß größeren Ausmaßes kommen.«
Sie setzte sich: »Wie? Die Shumai verlangen doch nur, daß man sie in Ruhe läßt. Wir haben nie jemanden versklavt. Wie kannst du das gerecht nennen, wo du doch andauernd von Gesetz und Gerechtigkeit redest? Übrigens, wo ist Operistiani? Weiß ich jetzt schon genügend über das Recht? Er war in letzter Zeit nicht hier.«
»Er ist im Gefängnis.«
»Er? Dieser alte Tatterich? Warum?«
»Er hat sich dem Krugistoran widersetzt.«
»Er? Er hat sich nie jemandem widersetzt. Sieh ihn dir doch an! Wenn er redet, käut er wieder. Ach, ich weiß. Er hat den Schmalztopf an irgendeine Vorschrift erinnert, die besagter Schmalztopf ehedem und in Anbetracht dessen verletzt hatte. Und der Schmalztopf ließ ihn unverzüglich einsperren, denn besagter Schmalztopf ist sich nämlich selbst Gesetz, ist sein eigener Gesetzgeber, Richter und Justizaus-schuß und hat die frühere Tradition der Emeri, des Lichts des Westens vergessen.«
Prestiginagi gab keine Antwort. »Dann«, fuhr sie fort, »hüte dich, Presti! Wenn er seine Wachen auspeitschen läßt, seinen Rechtsberater einkerkert, seine Armee herbeiruft, damit sie ihn schützt, was wird dann aus dir? Du bist nur Stratege und Berater. Ich könnte mir denken, daß du einer Invasion nicht auf diese Weise begegnen würdest. Willst du ihn verraten, indem du ihm widersprichst? Wo stehst du?«
»Oder du, Tia. Du bist nichts als eine Sklavin, die zur Konkubine ausgebildet wird. Deine Fesselwun-den sind noch nicht ganz verheilt. Es könnte viel Schlimmeres geschehen.«
»Nicht mir. Mir kann nichts mehr geschehen, Presti. Mir kannst du nicht mehr weh tun. Ich bin über den Schmerz hinaus. Ich habe das Äußerste erlebt und bin jetzt gefeit dagegen. Aber du kannst helfen.
Mir, wie auch dir selbst. Komm ...!«
Aber er hatte sich umgedreht und wollte gehen.
»Ich sehe, daß du jetzt nicht in der richtigen Stimmung zum Lernen bist«, sagte er an der Tür.
Nun saß wieder Sima Pall im Sessel der Protektorin.
Der Gerichtssaal war voll. »Ich freue mich, mache mir aber Sorgen«, sagte sie gerade. »Die Gesellschaft der Pelbar ist von
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