Pelbar 6 Das Lied der Axt
erfahrbar machen.« Immer noch fanden seine suchenden Arme nichts. Er machte kehrt, um noch ein Stück hinauszuschwimmen, ehe seine nach Luft schreienden Lungen ihn an die Oberfläche zwangen. Plötzlich fühlte er die Ferse des Mädchens in seiner Hand. Er zog das Kind an sich und schwamm schnell im Scherenschlag an die Oberflä-
che.
Hinter dem Boot wirbelte plötzlich das Wasser auf, und Tristal erschien, das Mädchen in den Armen.
»Rückwärts! Langsam jetzt!« schrie der Aufseher.
Das Boot wurde längsseits gebracht. Tristal packte das Dollbord, während die Wächter sich heraus-beugten und das Mädchen ins Boot hoben.
»Du. Steig herein oder bleib, wo du bist!« rief der Aufseher.
Tristal schaute auf, den Mund weit geöffnet, nach Luft schnappend. Er versuchte viermal, sich über die Seitenwand zu ziehen, schaffte es aber nicht. Die Mutter des Mädchens kreischte: »Sie atmet nicht. Sie ist tot.«
Ein Wächter beugte sich zu Tristal hinunter, der keuchte: »Das Mädchen. Legt es hin! Helft mir hinein!
Sie wird atmen.« Der Wächter schaute den Aufseher an, und der nickte. Tristal wurde ins Boot gezogen. Er rutschte über die nächsten Ruderer und kroch auf die Kleine zu.
»Nein. Hier. So.« Er veränderte ihre Lage, kniete neben ihr nieder und zögerte, immer noch schwer atmend. Dann tastete er an ihrem Hals nach dem Puls und sagte: »Gut. Das Herz schlägt.« Dann beugte er sich über sie, räumte ihr den Mund aus, bog ihr den Kopf zurück, blies ihr Luft ein und hielt ihr dabei die Nase zu. Er fiel mit immer noch wogender Brust in einen Rhythmus, dann winkte er einem der Männer in der Gruppe, er solle sich auf die andere Seite setzen, und arbeitete ihn in den Rhythmus ein. Erneut prüfte er den Puls des Mädchens. Sie machten weiter, der Iyunwah löste Tristal ab. Jedesmal, wenn Tristal sich vorbeugte, konnte der Kreis der Zuschauer seinen wäßrigroten, mißhandelten Rücken sehen. Das steigerte das Leid der Mutter noch, und sie schluchzte unaufhörlich. Einmal fing Tristal, als er aufschaute, den Blick von zwei Sklaven an einem Ruder auf. Sie waren wütend auf ihn. Er konnte es nicht ändern. Er hatte ohnehin keinem je vertrauen können.
»Laßt sie in Ruhe! Das gehört sich nicht. Sie ist tot«, verlangte der Aufseher.
»Manchmal dauert es viele Sonnenbreiten«, er-klärte Tristal. »Man darf nicht aufgeben, solange man nicht sicher weiß, daß sie tot ist. Der Puls ist da. Leg deine Hand hierher! Du kannst ihn spüren.«
Der Aufseher schaute ihn wütend an. »Entschuldige«, sagte Tristal. »Sie ist doch noch ein Kind. Sie verdient zu leben. Hoffentlich wirst du mir meinen Ungehorsam verzeihen. Als Gott, den die Pelbar Aven nennen, mich durch das Wasser hinunterführte und ihre Ferse in meine Hand legte, da wußte ich, daß sie gerettet würde. Aber wir müssen durchhalten.«
»Laß ihn in Ruhe!« schrie die Mutter den Aufseher an. »Siehst du nicht, daß er nur helfen will?« Der Mann wandte sich ärgerlich ab.
Bald legte das Boot am Dock an, und die Sklaven wurden weggeführt. »Unterbrich den Rhythmus nicht«, sagte Tristal zu dem Mann. »Ich muß gehen.«
»Du darfst nicht gehen!« schrie die Mutter.
»Wie du willst«, erwiderte Tristal.
»Du, Noute – bleib hier und bewache ihn! Bring ihn zurück, wenn das vorbei ist.« Damit drehte ihnen der Aufseher den Rücken zu und ging.
Tristal zitterte im kalten Wind, aber niemand schien das zu bemerken. Sie machten weiter, während allmählich die Sonne unterging. Endlich hustete das Mädchen, und Tristal streckte die Hand aus und hielt den Mann auf, der versuchte, sie wiederzubele-ben. Das Mädchen hustete wieder, würgte und keuchte, dann öffnete es die Augen, und seine Mutter hob es auf. Tristal schaute zu dem Wächter hinauf, der gab ihm ein Zeichen mit dem Kopf. Tristal stieg die Leiter zum Dock hinauf und ging vor dem Wächter her. Die Welt wollte wieder verschwimmen, aber er zwang sie, stillzustehen.
»Ich verstehe dich nicht«, sagte der Wächter.
Wieder stand Tristal von Wächtern flankiert im Gemach des Gouverneurs. »Ich kann mich nicht erinnern, daß jemals ein Sklave zweimal zu mir gebracht worden wäre«, begann der Mann mit dem langen Gesicht. »Schon einmal ist es selten. Aber man hat mich wieder gebeten, dich zu belohnen. Hoffentlich weißt du, was in diesen Dingen Bescheidenheit bedeutet.«
Tristal lächelte. »Ja. Das weiß ich. Dürfte ich mich bitte in der Höhle so lange ausruhen, bis mein Rük-ken geheilt ist?
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