Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
winziges Lächeln zeigte sich in den Mundwinkeln der alten Frau.
»Schnee gibt es hier immer«, sagte sie flüsternd. »In jedem Monat.«
»Wohl kaum im Juli«, erwiderte ich.
»Auch im Juli«, erwiderte sie und zog die Stirn kraus. »Ich weiß
nicht mehr, in welchem Jahr das war, ich lebe schon so lange, viel zu lange,
Jupp war damals noch nicht geboren …« Sie brach ab, und ich bat sie, sich nicht
so anzustrengen, aber sie schüttelte kaum merklich den Kopf und brachte hervor:
»Es gibt keinen Monat, in dem ich hier nicht schon mal Schnee gesehen habe.«
Ich schüttele mich. Nach Schnee sieht es heute zwar nicht gerade
aus, aber die Temperatur dürfte durchaus im einstelligen Bereich liegen. Wird
Zeit, die Winterreifen aufziehen zu lassen. Und die Rosen zu mulchen. Zum Glück
habe ich noch einen Sack von Baumrindenschnipseln im Kuhstall liegen. Kann ich
gleich mit den Pferdeäpfeln und dem Mirabelleneimer rüberbringen. Jetzt darf
ich mir die Zeit nehmen, brauche ja nicht mehr auf das Kind zu achten. Beschließe
also, noch ein paar gelbe Pflaumen aufzusammeln, die letzten dieses Jahres. Für
Mirabellenklöße sind nur noch wenige geeignet – da mache ich aus den anderen
eben Marmelade.
Als ich den vollen Eimer auf die Schubkarre wuchte, höre ich eine
Wagentür auf- oder zuklappen. Ich lasse alles stehen und eile zurück zur Einkehr . Mir fällt nämlich ein, dass ich die Tür offen
stehen gelassen habe und in letzter Zeit so einiges abhandengekommen ist.
Nicht, dass mir auch noch Gudrun entführt wird.
Ein fremdes grünes Auto mit Berliner Kennzeichen parkt direkt neben
Hans-Peters Sportwagen, dessen Kofferraum weit offen steht. Irgendjemand macht
sich darin zu schaffen.
»Hallo?!«, rufe ich scharf dem mir zugereckten fremden männlichen
Hintern entgegen.
Der Mann richtet sich auf und wendet sich mir zu. Er ist um die
vierzig, schlank, groß und in seiner ganzen Erscheinung so blass, dass ich ihn
gar nicht beschreiben kann.
»Guten Tag«, antwortet er mit erstaunlich sonorer Stimme. »Ich suche
Herrn Kellenhusen.«
»In seinem Kofferraum?«, frage ich misstrauisch und trete näher.
»Natürlich nicht«, sagt der Fremde. Er dreht sich wieder um und
starrt ins vordere Teil des Autos. »Da suche ich was anderes, ah, da ist es
ja!«
Er reißt die Fahrertür auf und schnappt sich die Tabakdose.
»Nun mal halblang«, sage ich und trete auf ihn zu, um ihm die Dose
zu entreißen. »Sie können doch nicht so einfach …«
Er hebt die Dose aus meiner Reichweite.
»Natürlich kann ich das. Hans-Peter ist ein alter Freund und wird
mir das Pfeifchen gönnen. Ich sitze schon seit Tagen auf dem Trockenen, weil
ich dieses feine Kraut hier nirgendwo kriegen kann. Wo steckt er überhaupt, der
alte Knabe?«
Während er spricht, nähert er sich der Fahrertür seines eigenen
Autos. Ich präge mir schnell das Berliner Kennzeichen ein. Man muss nicht schon
mit Kriminalität zu tun gehabt haben, um zu merken, dass hier was oberfaul ist.
»Das hätten Sie erfahren können, wenn Sie sich wie jeder normale
Besucher zur Haustür bemüht hätten«, erwidere ich und stelle mich vor seinen
Wagen. Dann lasse ich einen Ballon steigen: »Sind Sie Anwalt?«
»Nein, wieso?«, fragt er unbekümmert und öffnet die Wagentür.
»Weil er einen braucht. Er steht im Verdacht, seine Frau ermordet zu
haben.«
Der Mann lässt den Pfeifenbeutel fast fallen, den er seinem eigenen
Wagen entnommen hat.
»Was?!«
Das Entsetzen ist echt, da bin ich mir sicher.
Jetzt öffne ich Hans-Peters Wagentür und ziehe die Zeitung hervor.
»Schauen Sie selbst«, sage ich und halte ihm das Blatt hin. »Die
Dame ist spurlos verschwunden.«
Er legt Pfeifenbeutel und Tabakdose auf Hans-Peters Autodach ab und
blickt mit vor Entsetzen geweiteten Augen auf das Foto.
»Mein Gott, das ist ja unsere Gaby!«
Er überfliegt den kurzen Bericht über die verschwundene Ehefrau des
Berliner Lokalpolitikers und reicht mir die Zeitung zurück. Vielleicht irre ich
mich, aber mir scheint, dass seine Hände etwas zittern.
»Wo steckt Hans-Peter jetzt?«, fragt er, fahrig eine Pfeife aus dem
Beutel ziehend. Ich antworte nicht sofort, sondern sehe interessiert zu, wie er
sich aus Hans-Peters voller Tabakdose bedient und eine recht neu aussehende
Pfeife mit geschwungenem Mundstück stopft.
»Er wird gerade von der Polizei verhört«, antworte ich, als er den
ersten Rauch inhaliert. Er verzieht das Gesicht und beginnt, heftig zu husten.
»Rauchen ist tödlich«,
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