Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
tot.
Wenn ich Marcel richtig verstanden habe. Und ich soll eine wichtige Zeugin
sein. Er braucht mich. Ich muss sofort nach Krewinkel.«
»Herr im Himmel«, stößt Gudrun hervor und zerrt am Klettverschluss
der Windel. »Da ist also noch jemand anders hinter dem Erbe her!«
»Was für einem Erbe?«, frage ich verwirrt. Sprechen jetzt alle in
Rätseln?
»Na, was ich eben gesagt habe, wenn es doch ein Privatdetektiv war,
der Hans-Peter wegen seines verstorbenen Onkels in den USA sucht …«
Er war tatsächlich Privatdetektiv. So viel hat die belgische
Polizei inzwischen herausgefunden.
»Er hieß Holger Eichhorn, stammte aus Berlin und arbeitete offenbar
allein; jedenfalls können wir niemanden in seinem Büro erreichen«, erklärt
Marcel. »Kennst du den? Sagt dir der Name was?«
Ich kann nicht antworten. Stehe immer noch mit offenem Mund am
Unfallort und kann den Anblick gar nicht fassen. Das grüne Auto muss in der
Kurve vor dem Sektenhaus von der Straße abgekommen sein. Es hat Coras
Herbstblumen geplättet, ist durch das Märchenschloss gebrettert und vor einem
Kräuterbeet zum Stehen gekommen. Der Reigen bunt gekleideter Menschen ist
auseinandergerissen, die lachende Sonne entzweigesplittert, und die blaue
Eingangstür schwingt seitlich des Wagens schief an einer Angel. Sieht so aus,
als ob sie gleich zu Boden fallen könnte.
Der Unglücksort ist mit Bändern abgesperrt, aber im nur leicht
demolierten Auto befindet sich offensichtlich niemand mehr. Die Leiche ist wohl
schon zur Gerichtsmedizin gebracht worden.
Wie bildgewordene Ratlosigkeit stehen Gerti, Bine und Bella mit
eingefrorenem Lächeln in ihren bunten Gewändern vor dem efeuüberwucherten
Bruchsteinhaus. Sechs kleine Kinder haben sie um sich geschart. Alle halten
sich an den Händen und schauen ins vermutlich und hoffentlich erleuchtende
Nichts. Das Ganze erinnert an den Märchenschlossreigen, bevor ihm ein grünes
Auto zustieß. Victor steht in seinem blauen Outfit abseits und redet
gestenreich auf einen belgischen Polizeibeamten ein. Plötzlich lässt er sich
sacken, nimmt das Haupthaar hoch und den Lotussitz ein, reißt sich das Pendel
vom Hals und lässt es vor den Augen der belgischen Staatsgewalt kreiseln. Der
Beamte schüttelt den Kopf und geht auf die Frauen-Kinder-Gruppe zu. Ich recke
den Hals, aber Cora ist nirgendwo zu sehen, ebenso wenig ihr rotes Rennrad, das
sonst immer an der Bruchsteinmauer lehnt. Ist wohl ganz vernünftig, dass sie
sich jetzt diesem Wahnsinn fernhält. Der vor allem aus einer Stille besteht,
die kein Krimifreund vom deutschen Tatort erwartet. Wenn da die Leiche gefunden
wird, herrscht immer laute Hektik. Schreiende Zeugen, knarzige Stimmen aus
Polizeiwagen, Handys mit seltsamen Klingeltönen, kauzig diskutierende
Ermittler, geräuschvoll kauende Gerichtsmediziner und aha-rufende Spurensucher.
Ein Haufen Leute ist hier vor Ort, aber sie machen ihre Arbeit nahezu unhörbar
und verständigen sich leise. Ein blecherndes und dann knirschendes Geräusch
lässt mich zusammenzucken. Das Türchen hat sich endlich von seinem letzten
Scharnier befreit und ist erst gegen das Auto und dann auf den Kies gefallen.
»Volle Pulle durchs Tor«, bringe ich schließlich einen Halbsatz
hervor.
Marcel nickt.
»Als ob das Bremspedal blockiert gewesen wäre. Und er hat am Steuer
geraucht. Die Pfeife war noch warm.«
Ich schlage die Hand vor den Mund. In der Erkenntnis, wohl
tatsächlich eine wichtige Zeugin zu sein.
»Dann weiß ich genau, zu welchem Zeitpunkt es passiert ist«,
flüstere ich.
»Das wissen andere auch«, sagt Marcel trocken und nickt zu den
Hausbewohnern hin. »Hat schließlich einen Höllenlärm gegeben. Die haben uns
sofort gerufen. Stehen jetzt noch unter Schock, wie du siehst.«
Oder unter Drogen. Aber diesen Gedanken
behalte ich für mich. Wie auch die plötzliche Eingebung, dass mein Hanf – mein
Hanf?! – möglicherweise hier gelandet ist. Weil ihn Cora auf der Suche nach mir
hinter meinem Haus gefunden hat. Ist das zeitlich möglich? Wie und wann soll
sie ihn dann weggeschafft haben? Vielleicht wurden getrocknete Marihuanabüschel
zerpflückt, als ich am Sektenhaus angeläutet habe. Würde einiges erklären.
Darüber muss ich später nachdenken. Jetzt muss ich erst einmal Marcels fragende
Augen konfrontieren.
»Der Tod ist ein Märchenschloss« , titele
ich, weil mir in unangenehmen Lagen nur Schlagzeilen einfallen.
»Nein«, sagt Marcel kopfschüttelnd und fügt einen Satz an, der
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