Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
Ortschaft, aus der meine Mutter
stammte und wo Marlene Jenniges Hexenküche steht, ein kleiner Imbiss, an dem
ich gelegentlich eine Zwischenmahlzeit einnehme. Vor allem dann, wenn ihr Mann
Karl-Heinz in der Werkstatt neben seinem Gebrauchtwarenhandel meinem inzwischen
recht strapazierten Wagen irgendein neues Teil verpasst.
Der Nebel wabert nur über der Kehr. Kurz hinter dem Gehöft des stets
hilfsbereiten Kuhbauern Martin Quetsch habe ich wieder freie Sicht. Unten im
Dorf biege ich links ab, lasse die Kirche rechts liegen und fahre dann gleich
rechts auf die Landstraße. Karl-Heinz blickt auf, als ich an seinem Autohaus
vorbeifahre, und winkt mir fröhlich zu. Ich winke nicht zurück, da mir gerade
zwei Motorradfahrer entgegenkommen, die sich auf der geraden Strecke ein
Wettrennen liefern, und ich abbremsen muss. Solltet ihr nicht schon längst eingemottet
sein, murmele ich verärgert und froh darüber, dass die Saison der gefährlich
rasenden Zweiräder in der Eifel bald vorbei ist. Als ich hier noch neu war,
staunte ich über das Lebensalter – Sterbealter – der vielen Motorradtoten in
der Eifel. Früher hatte ich immer angenommen, die ganz Jungen würden durch
ihren Übermut auf so fürchterliche Weise bestraft. Aber es sind meistens Männer
in meinem Alter, also um die fünfzig, die mit ihren
Maschinen begraben werden. Männer, die ihre Jugend noch mal entdecken wollen
und dadurch umkommen.
Herbstlaub fegt über die ansteigende Straße entlang des Kronenburger
Sees. Zum hunderttausendsten Mal ärgere ich mich über die blödsinnige Ampel im
Nirgendwo. Die einzige weit und breit – keines der Städtchen in der Nähe
verfügt über eine derartige Verkehrsregelung, weder Prüm noch Stadtkyll oder
Jünkerath. Und diese einsame Ampel steht immer auf Rot. Damit die Besucher des
holländischen Ferienparks zur Linken sich mit oder ohne Wohnwagen gefahrlos auf
die Landstraße einschleichen können, hat mir Hein mal erklärt. Nun gut,
Holländer fahren bekanntermaßen langsam und sind eben keine Berge gewöhnt.
Kurz hinter dem Verkehrsärgernis fahre ich die Serpentinenstraße
links hinauf. Sie führt in den sehr malerischen alten Ortskern Kronenburgs, des
einzigen Wohnorts in der Nachbarschaft, der im Zweiten Weltkrieg von Bombenangriffen
verschont geblieben ist.
Ich halte nicht auf dem Parkplatz am Ortseingang, sondern fahre
unter einem schmalen Torbogen langsam die kopfsteinbepflasterte Gasse zum Hotel
runter. Auf dem sehr feinen und schön restaurierten Schlossgelände parke ich
meinen Wagen direkt vor der Hoteltür und betrete den eher kleinen Flur der
Rezeption. An der Empfangstheke aus edlem dunklen Holz steht niemand, also
strebe ich der gewundenen Holztreppe zu. Erster Stock, Zimmer Nr. 110, die
Napoleonsuite, hat Gudrun gesagt. Der riesige gold gerahmte Spiegel auf der rechten
Seite im Eingangsflur wirft mir das Bild einer rotgesichtigen übergewichtigen
Frau zu, die sich dringend die Haare färben sollte. Was sie noch nie getan hat.
Der Gedanke erschreckt mich so, dass ich fast über den Menüständer vor dem
Restauranteingang gestolpert wäre. Ich widerstehe der Versuchung, das ganze Angebot
der Konkurrenz zu studieren, nehme nur auf, dass hier Filet vom Eifler Hirsch
mit caramellisiertem Rosenkohl, Kartoffelgratin und Holunderbirne für 25,50
Euro gereicht wird. Mir knurrt der Magen. Vielleicht hätte ich Hans-Peters
Angebot doch nicht ausschlagen sollen.
Vor der Tür Nummer 110 steht eine schmale dunkelhaarige Frau und
klopft.
»Zu Herrn Kellenhusen möchte ich auch«, sage ich und beäuge die
hübsche Erscheinung misstrauisch. Hans-Peter hat sie bestimmt voller Wohlwollen
gemustert.
»Er wollte schon vor einer halben Stunde geweckt werden«, sagt die
Frau, die sich mir als Marion mit einem unaussprechlichen Nachnamen vorstellt,
»aber er reagiert weder auf Anrufe noch auf Klopfen.«
»Der Mann hat einiges hinter sich und ist schwer erschöpft«, sage
ich, »da hilft wohl nur noch kräftiges Rütteln am schlafenden Körper.«
Die junge Frau sieht mich an.
»Wenn Sie das übernehmen würden«, meint sie und öffnet auf mein aufmunterndes
Nicken hin die Tür.
»Halloho, Hans-Peter!«, rufe ich.
Nichts. Das schmiedeeiserne weiße Himmelbett ist unberührt. Auf dem
Fußboden liegt eine nachlässig hingeworfene Jeans. Links von ihr erkenne ich
die Beine, die darin hätten stecken sollen, jetzt aber nackt ins Zimmer ragen.
Der Oberkörper des Mannes liegt vor der geöffneten Saunatür. Die
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