Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
ließ sich auf einem Sofa nieder. »Aber mehr als diesen einen Raum hier werden Sie leider nicht besichtigen können.
Selbst das ist schon eine Ausnahme, denn ich lade ganz selten Gäste ein. Angesichts dessen, was ich mit Ihnen zu besprechen habe, fand ich es allerdings angebracht.«
»Und warum das?« fragte Hayward, während sie ihre Blicke durch den Raum schweifen ließ. Als sie die Pflanze auf dem Lacktisch neben Pendergasts Sofa sah, riß sie die Augen auf.
»He, das ist ja ein Bonsai! Ein kleiner japanischer Baum! Mein Sensei im Karate-Dojo hat auch ein paar davon.«
»Der hier ist ein Ginkgo biloba «, erklärte Pendergast »Das einzige noch existierende Mitglied einer Baumfamilie, die es schon in der Urzeit gab. Und rechts neben Ihnen steht eine Gruppe von Zwergahornen. Im Herbst farbt ein jeder von ihnen sein Laub zu einer anderen Zeit gelb. Allein an diesem Arrangement habe ich neun Jahre lang gearbeitet. Ihr Sensei könnte Ihnen sicherlich erzählen, daß man Bonsaigruppen nach und nach pflanzt, und zwar immer so, daß sich eine ungerade Zahl ergibt. Erst wenn man Mühe hat, die einzelnen Stämme zu zählen, ist man fertig.«
»Neun Jahr?« wiederholte Hayward ungläubig. »Dann müssen Sie ja eine Menge Freizeit haben.«
»Leider nicht. Aber Bonsais sind eine meiner Leidenschaften. Diese Mischung aus Künstlichkeit und Natur finde ich zutiefst faszinierend, und darüber hinaus ist ihre Pflege eine Kunst, in der man es nie zur Vollendung bringt.« Pendergast schlug ein Bein übers andere. Das Schwarz seines Anzugs hob sich kaum von der Farbe des Ledersofas ab. »Aber jetzt lassen Sie uns zum Grund meiner Einladung kommen«, sagte er. »Sie haben mich vorhin gefragt, weshalb ich Sie hierher gebeten habe. Der Grund ist ganz einfach: Ich will von Ihnen mehr über die Obdachlosen im Untergrund erfahren, und das müssen Leute wie Captain Waxie nicht unbedingt mitbekommen.«
Hayward saß da ohne ein Wort.
»Sie haben mit diesen Menschen gearbeitet«, fuhr Pendergast fort. »Sie haben sie studiert. Sie sind eine Expertin auf diesem Gebiet. Ihr Wissen ist sehr wertvoll.«
»Mit dieser Meinung stehen Sie aber ziemlich alleine da.«
»Wer auch nur ein wenig darüber nachdenkt, müßte mir eigentlich zustimmen. Wie dem auch sei, ich kann verstehen, daß es Ihnen nicht angenehm ist, wenn Ihre Kollegen von ihrer Doktorarbeit erfahren. Auch aus diesem Grund fand ich es besser, wenn wir diese Angelegenheit außerhalb Ihrer Dienstzeit und weit weg von Ihrer Dienststelle besprechen.«
Hayward mußte zugeben, daß Pendergast recht hatte. In diesem seltsamen Zimmer mit seiner herben Schönheit und dem beruhigend vor sich hin murmelnden Wasserfall fühlte sie sich so weit von Waxie, Horlocker und D'Agosta entfernt wie vom Mond. Sie ließ sich tiefer in das verführerisch weiche Sofa sinken und spürte, wie sich ihr angeborenes Mißtrauen immer mehr verflüchtigte. Einen Augenblick lang überlegte sie, den unbequemen Dienstgürtel abzunehmen, war dann aber zu faul, um extra aufzustehen.
»Ich war selbst erst zweimal im Untergrund«, erklärte Pendergast »Das erste Mal, um meine Verkleidung zu testen, und das zweite Mal auf der Suche nach Mephisto. Als ich schließlich mit ihm sprechen konnte, wurde mir klar, daß ich viele Dinge dort unterschätzt hatte, darunter auch die Ausstrahlung dieses Mannes und die Zahl seiner Anhänger.«
»Niemand kann genau sagen, wie viele Menschen unter dieser Stadt leben«, sagte Hayward. »Aber es sind mehr, als man gemeinhin annimmt, das steht fest. Von Mephisto weiß ich, daß er der bekannteste Anführer der Maulwürfe ist. Seine Gemeinde ist die größte im Untergrund und soll sich aus mehreren unterschiedlichen Gemeinden zusammensetzen, die sich um einen harten Kern aus Vietnam-Veteranen, Anarchisten und Überbleibseln der radikalen Studentenbewegung aus den sechziger Jahren zusammengeschlossen haben. Nachdem die ersten enthaupteten Leichen gefunden wurden, sind einige kleinere Gruppen zu ihnen gestoßen, die davor noch selbständige Gemeinden waren. Inzwischen hat Mephisto fast das ganze tiefere Tunnelsystem unterhalb des Gentral Parks unter Kontrolle.«
»Was mich erstaunt hat, war die Vielfalt an unterschiedlichen Menschen, die man dort trifft«, fuhr Pendergast fort. »Bisher hatte ich immer gedacht, daß es eigentlich nur bestimmte Typen in den Untergrund treibt.«
»In gewisser Weise stimmt das auch«, entgegnete Hayward, »denn nicht alle Obdachlosen gehen in den
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