Pendergast 02 - Attic - Gefahr aus der Tiefe
Untergrund. Es sind hauptsächlich diejenigen, die etwas gegen Suppenküchen haben und nicht gerne in Asylen oder auf Lüftungsgittern schlafen. Es sind mehr die Einzelgänger und die abgefahrenen Typen, die es erst in die U-Bahn-Tunnels und dann noch weiter in die Tiefe zieht. Glauben Sie mir, unter dieser Stadt gibt es mehr verborgene Orte, als Sie sich träumen lassen.«
Pendergast nickte. »Schon bei meinem ersten Trip hat mich die riesige Ausdehnung des Tunnelsystems verblüfft. Ich fühlte mich wie auf einer Expedition in vollkommen unerforschtes Gebiet.«
»Und dabei kennen Sie nur einen Bruchteil davon. Im Untergrund von New York existieren über dreitausend Kilometer aufgelassener oder nur halb fertig gebauter Tunnels, zusätzlich zu den achttausend Kilometern, die noch in Betrieb sind. Dazu jede Menge unterirdischer Räume, die man zugemauert oder vergessen hat.«
Hayward zuckte mit den Achseln. »Und dann hört man immer wieder Gerüchte von geheimen Atombunkern, die das Pentagon angeblich in den fünfziger Jahren für die Bosse der Wallstreet hat anlegen lassen. In manchen von ihnen soll es noch fließendes Wasser, elektrisches Licht und riesige Vorräte an Konservendosen geben. Darüber hinaus hört man von gigantischen Maschinenräumen mit verrosteten Turbinen und längst vergessenen Kanalisationssystemen, die so alt sein sollen, daß sie noch hölzerne Rohre haben. Da unten liegt eine ganze gottverdammte Welt.«
Pendergast beugte sich auf seinem Sofa nach vorne. »Sergeant Hayward«, fragte er mit leiser Stimme, »haben Sie jemals von The Devil's Attic gehört?«
Hayward nickte. »Ja, sicher.«
»Können Sie mir sagen, wo das ist und wie ich zu diesem Dachboden des Teufels komme?«
Hayward ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. »Nein, tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Ich habe die Obdachlosen zwar häufig darüber reden hören, aber nie konkret. Ich habe diese Geschichten eigentlich immer als reine Erfindung abgetan, denn dort unten wird eine Menge Schwachsinn erzählt.«
»Gibt es denn niemanden, der mehr darüber weiß?«
Hayward mischte auf ihrem Sofa herum. »Vielleicht sollten Sie mal Al Diamond fragen«, sagte sie und blickte hinauf zu dem Gemälde mit den Heuhaufen. Seltsam, dachte sie, wie genau man eine Stimmung nur mit ein paar Farbklecksen wiedergeben kann. »Er ist Ingenieur bei den Stadtwerken und eine Kapazität auf seinem Gebiet Er wird immer dann gerufen, wenn im Untergrund ein Wasserrohr bricht oder ein neuer Gastunnel gebohrt werden muß, Hayward hielt einen Augenblick inne. »Allerdings habe ich schon längere Zeit nichts mehr von ihm gehört Vielleicht hat er ja den Löffel abgegeben.«
»Wie bitte?«
»Vielleicht ist er inzwischen gestorben. Ich habe ihn jedenfalls schon lange nicht mehr im Untergrund gesehen.«
Eine Weile war es so still in dem Raum, daß Hayward nur das leise Murmeln des Wasserfalls hörte. »Wenn die Morde wirklich von Lebewesen begangen wurden, die sich in den untersten 'Tunnels eingenistet haben, dann dürfte es die große Anzahl von Obdachlosen sehr schwer machen, sie alle zu beschützen«, meinte Pendergast schließlich.
Hayward wandte den Blick von dem Bild an der Wand und richtete ihn auf den FBI-Agenten. »Und dabei ist es jetzt dort unten geradezu leer.«
»Wie meinen Sie das?«
»Warten Sie erst einmal bis Ende Oktober. Dann strömen die Obdachlosen erst richtig in den Untergrund, weil sie Angst vor dem kalten Winter haben. Wenn Sie mit Ihrer Theorie recht haben, dann wissen Sie ja, was das bedeutet.«
»Nein, das weiß ich nicht«, entgegnete Pendergast. »Erklären Sie es mir.«
»Es bedeutet, daß die Jagdsaison dann eröffnet ist«, antwortete Hayward und sah wieder hinauf zu dem Gemälde.
27
Das heruntergekommene Industriegebiet endete vor einem aus Schotter aufgeschütteten Kai, der schon halb im schmutzigbraunen Wasser des East River versunken war. Von hier aus konnte man nicht nur Roosevelt Island und die Brücke an der 59th Street sehen, sondern auch die Gebäude der Vereinten Nationen und die luxuriösen Wohnblocks am gegenüberliegenden Ufer. Toller Blick, dachte D'Agosta, als er aus seinem zivilen Polizeifahrzeug stieg. Viel zu schön für diese lausige Gegend.
Die heiße Augustsonne brannte auf die müllübersäte Straße herab, weichte die vielfach geflickte Teerdecke auf und schickte wabernde Hitzeschlieren in die Luft. Während D'Agosta seine Krawatte lockerte und den obersten Hemdknopf öffnete, las er noch
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