Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
entkommen, kann sich aber nicht bewegen. Keine Sorge, Mr. Smithback, obwohl Sie sich nicht bewegen können, sind Sie bei vollem Bewusstsein, und zwar während des ganzen chirurgischen Eingriffs, einschließlich der Entfernung und Entnahme bestimmter Teile des Rückgrats. Auf diese Weise wird die Prozedur für Sie zu einem hochinteressanten Erlebnis werden.«
Smithback bäumte sich verzweifelt in seinen Fesseln auf, als er sah, dass die Spritze näher kam.
»Wissen Sie, es handelt sich um eine sehr komplizierte Operation,die einer ruhigen, erfahrenen Hand bedarf. Daher muss der Patient unbedingt ruhig gestellt werden. Der geringste Ausrutscher mit dem Skalpell, und alles könnte umsonst gewesen sein. In diesem Fall wäre ich möglicherweise gezwungen, mich um … nun, um eine neue menschliche Ressource zu bemühen.«
Smithback sah die Nadel immer näher kommen.
»Ich rate Ihnen, jetzt tief und ruhig durchzuatmen, Mr. Smithback.«
Ich werde mir die größte Mühe geben …
Smithback war von einem einzigen Gedanken beherrscht: In Augenblicken höchster Gefahr kann ein Mensch ungeahnte Kräfte mobilisieren. Und so warf er sich in der Hoffnung, seine Fesseln abstreifen zu können, verzweifelt hin und her und versuchte zugleich, durch heftige Kaubewegungen das Pflaster loszuwerden. Aber alles, was er damit bewirkte, waren aufgeschürfte Handgelenke und zerschnittene Lippen. Trotzdem zerrte er wie von Sinnen weiter an den Handfesseln, als er die schweren Atemzüge des Mannes direkt über sich spürte. Und dann stach die Nadel zu, und als sie ihm ins Fleisch eindrang, fühlte er, wie eine Hitzewelle durch seine Adern lief und sich genau jene Müdigkeit in ihm ausbreitete, die der Mann soeben beschrieben hatte. Es war wie in einem quälenden Albtraum, er wusste, dass er etwas tun musste – weglaufen, sich wehren oder was auch immer –, aber er konnte sich nicht bewegen, er musste den Traum wehrlos über sich ergehen lassen.
Und was ihn am meisten zermürbte, war das Wissen, dass es kein Traum, sondern grausame Realität war.
4
Police Officer Finester war die ganze Sache zuwider. Er hasste es, damit seine Zeit zu verschwenden. Sein Blick suchte deprimiert die langen Tische in der Museumsbibliothek ab –lauter Mitarbeiter, die darauf warteten, dass sie endlich an die Reihe kamen, ihn teils ängstlich, teils wütend musterten und dennoch, genau wie er, brav ihre Zeit absitzen mussten.
Mein Gott, dachte er, was für eine skurrile Ansammlung von verschrobenen Typen! Alle nicht mehr taufrisch, mit Basedowaugen. Wo kriegt das Museum all die Witzfiguren nur her? Der Gedanke, dass er den verknöcherten Haufen mit seinen sauer verdienten Steuergroschen finanzieren musste, brachte ihn auf die Palme. Damit nicht genug, war der Zeiger der Uhr inzwischen auf die Zehn vorgerückt – abends, wohlgemerkt! Seine Frau würde ihn erschlagen, wenn er nach Hause kam. Da war es ein unzulänglicher Trost, dass Überstunden sich auf dem Lohnzettel anderthalbfach niederschlugen, selbst wenn er daran dachte, was ihn die monatlichen Raten für die schicke Cobble-Hill-Wohnung kosteten, in die seine Frau unbedingt ziehen wollte, und was er, seit sie das Baby hatten, jeden Monat für Windeln und dergleichen hinblättern musste. O Mann, der Braten, mit dem seine Frau ihn zum Abendessen verwöhnen wollte, war mit Sicherheit längst zu einem ungenießbaren braunen Klumpen verschmort! Er durfte gar nicht an die Szene denken, die seine Frau ihm machen würde. Und wie er den Laden kannte, fing dann auch noch das Baby zu schreien an. Und am Schluss war, wie immer, er an allem schuld!
»Finester?«
Der Sergeant drehte sich um. O’Grady, sein Kumpel, winkte ihn zu sich.
»Komm, die Nächste ist dran!«
An den beiden zusammengeschobenen Schreibtischen, an denen sie ihre Anhörungen durchführten, saß diesmal kein vertrockneter Wissenschaftler, sondern eine ausnehmend hübsche junge Frau – langes kupferfarbenes Haar, haselnussbraune Augen und eine durchtrainierte Figur. Finester gab sich einen Ruck und ließ unauffällig die Bizepse spielen. Die Frau saß ihnen gegenüber, ein Hauch ihres Parfüms wehteihn an: teuer, aber sehr dezent. Überhaupt, sie bot einen rundherum erfreulichen Anblick. Als er verstohlen zu O’Grady hinüberschielte, sah er, dass der genauso gockelte. Auf seinem Klemmbrett konnte er nachlesen, wer ihnen gegenübersaß: die berühmt-berüchtigte Nora Kelly, die Pucks Leiche gefunden hatte, nachdem sie von dem »Chirurgen«
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