Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
viel Gesindel in der Stadt, und nicht alle waren so harmlos wie die beiden Obdachlosen, die auf einer Parkbank ihren billigen Fusel schluckten und ihr zunickten.
Manchmal wünschte sie sich, dass der Weg von der U-Bahn bis zu ihrer Wohnung nicht gar so weit wäre. Ein Taxi konnte sie sich nicht leisten, und so beschlich sie jedes Mal ein mulmiges Gefühl, wenn sie bei Dunkelheit den Weg nach Hause zu Fuß zurücklegen musste. Anfangs hatte sie die Ecke, in der sie untergekommen war, richtig cool gefunden, aber allmählich merkte sie, wie schäbig und deprimierend dort alles wirkte. Der Flatirondistrikt wäre schöner gewesen. Oder vielleicht sogar Yorkville, da wohnten viele Fordmodels. Aber das waren eben die, die es bereits geschafft hatten.
Der Park lag hinter ihr, sie war in der Avenue C angekommen. Auf beiden Seiten triste Ziegelsteinbauten, alle wie ausgestorben, nirgendwo ein Lichtschimmer hinter den Fenstern. Der Wind wehte raschelnd welke Blätter vor die Haustüren, aus den Hofeingängen stieg ihr ein leichter Uringeruch in die Nase. Sie musste bei jedem Schritt aufpassen, nicht in irgendein Häufchen zu treten. Ekelhaft, dass sich keiner der Hundehalter die Mühe machte, den Kot zu entfernen. Wirklich, vor diesem Teil ihres Heimwegs grauste ihr am meisten.
Auf dem Gehweg, noch weit weg, kam ihr eine Gestalt entgegen. Unwillkürlich verkrampfte sie sich und überlegte, ob sie auf die andere Seite wechseln solle. Doch dann beruhigte sie sich. Der Nachtschwärmer war ein alter Mann, der sich mühsam auf seinem Stock abstützte. Als er näher kam, sah sie, dass er einen altmodischen Bowler trug – eine Melone, wie man sieheutzutage nur noch in alten Schwarzweißfilmen sah. Da der alte Mann den Kopf gesenkt hielt, konnte sie deutlich die steife Rundung und die breite Krempe sehen. Was trieb ihn wohl bei diesem Wetter nachts vor die Haustür? Vermutlich litt er unter Schlaflosigkeit, das sollte ja bei alten Männern häufig vorkommen. Wachten morgens um vier auf und konnten nicht mehr einschlafen. Wer weiß, vielleicht ging’s ihrem Vater genauso?
Sie waren jetzt fast auf gleicher Höhe. Der Alte schien erst jetzt zu merken, dass er nicht allein durch die Nacht schlurfte. Er sah hoch, lüftete die Melone und legte grüßend den Finger an die Krempe. Es war, als richte sich alles an ihm auf, seine gebeugte Gestalt, der Arm … nur der Blick blieb weiter fest auf den Boden geheftet. Mandy fiel auf, dass seine Augen verblüffend lebhaft und trotzdem kalt wirkten. Er schien seine Umgebung mit wachen Blicken auszuloten. Er musste an Schlafstörungen leiden, denn müde oder schläfrig wirkte der alte Mann absolut nicht.
»Guten Morgen«, sagte er mit brüchiger Altmännerstimme.usatz
»Guten Morgen«, erwiderte sie verdutzt, denn gewöhnlich kam es nicht vor, dass einen in New York City wildfremde Menschen auf der Straße grüßten. Die unverhoffte Geste menschlicher Wärme rührte sie irgendwie an.
Als sie einen Schritt weiter war, legte sich plötzlich irgendetwas um ihren Hals, wie eine Peitsche oder ein Stahlseil. Sie versuchte verzweifelt, freizukommen und laut um Hilfe zu rufen. Nur, da hing auf einmal ein feuchtes, widerlich nach Chemikalien riechendes Tuch über ihrem Gesicht. Instinktiv hielt sie den Atem an. Ihre Hand wühlte im Umhängetäschchen, ihre Finger umklammerten das Pfefferspray. Aber dann traf unversehens ein brutaler Hieb ihren Arm, die Dose wurde ihr aus der Hand geschlagen und auf den Bürgersteig geschleudert. Sie wand sich, strampelte, wimmerte vor Schmerz und Angst und versuchte mit aller Kraft, den Angreifer abzuschütteln.In ihrer Lunge brannte es wie Feuer. Ein letzter tonloser Schrei kam über ihre Lippen, dann versank rings um sie alles in Nebel.
5
Smithback saß in seinem winzigen, unaufgeräumten Redaktionsbüro und starrte missmutig auf die Stichworte, die er sich für sein weiteres Vorgehen notiert hatte. »Angestellte« hatte er bereits gestrichen, das Wachpersonal ließ ihn nicht mehr in Fairhavens Glas-und-Chrom-Palast rein. Die »Nachbarn« konnte er ebenfalls vergessen, die hatten ihn, was er sich auch an Vorwänden und Tricks ausdachte, allesamt abblitzen lassen. Und seine Recherchen zu Fairhavens Vergangenheit hätte er sich auch schenken können, die Leute wollten entweder nichts sagen, oder sie ergingen sich in enthusiastischen Lobeshymnen.
Danach hatte er versucht, Fairhaven in der Rolle als Wohltäter der Menschheit unter die Lupe zu nehmen. Im Museum war das
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