Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
Sagte ihm, was er wusste? Weshalb machte er so ein Geheimnis daraus?
Weshalb?
Das war die Frage, auf die O’Shaugnessy eine Antwort finden musste.
Er fluchte noch einmal. Pendergast stellte ihm stets eine Menge Fragen, aber wenn es um Antworten ging, gab er sich verdammt zugeknöpft. Zum Teufel, warum verschwendete er an so einem schönen Herbstabend seine Zeit damit, um das Dakota herumzuschleichen und nach irgendwelchen Finger-zeigen zu suchen, die er sowieso nicht finden würde, bloß weil der elende Dickschädel ihm partout nicht helfen wollte?
Bleib auf dem Teppich!, rief er sich zur Ordnung. Er war noch nie jemandem begegnet, der logischer und methodischer vorging als Pendergast. Wenn er nichts sagen wollte, hatte er bestimmt seine Gründe dafür. Und solange er nichts sagen wollte, verschwendete O’Shaugnessy hier nur seine Zeit. Besser, er ließ sich daheim das Abendessen schmecken und blätterte dabei die
Opera News
durch.
Er wollte sich schon umdrehen und nach Hause gehen, als er an der Ecke verschwommen eine Gestalt ausmachte. Instinktiv duckte er sich in den nächsten Hauseingang und wartete ab. Die Gestalt stand an der Ecke, genau dort, woO’Shaugnessy vor fünf Minuten gestanden hatte. Dann ging sie weiter, kam genau auf ihn zu. Ein Mann. Die Art, wie er sich bewegte, wirkte irgendwie verdächtig. Als habe er etwas zu verbergen.
O’Shaugnessy schmiegte sich tiefer in den Hauseingang. Der Unbekannte wanderte an der Fassade des Dakota entlang, bis er an der Stelle stehen blieb, an der Pendergast attackiert worden war. Es sah aus, als suche er sorgfältig den Bürgersteig ab. Was O’Shaugnessy verdächtig vorkam. Der Typ trug einen langen dunklen Mantel, unter dem er bequem eine Waffe verstecken konnte. Und er war bestimmt kein Cop, dafür hatte O’Shaugnessy einen Riecher. Was wollte der Typ hier? Die Zeitungen hatten doch gar nichts über einen tätlichen Angriff auf einen FBI-Agent berichtet?
O’Shaugnessy zögerte nicht länger. Er zog die Dienstwaffe, trat aus dem Dunkel und rief den Unbekannten mit ruhiger, bestimmter Stimme an: »Polizei! Keine Bewegung! Halten Sie Ihre Hände so, dass ich sie sehen kann.«
Der Mann zuckte erschrocken zusammen und reckte die Arme hoch. »Nicht schießen! Ich bin Reporter!«
O’Shaugnessy entspannte sich, als er den Mann wieder erkannte. »Ach, Sie sind’s«, sagte er fast enttäuscht und schob die Waffe ins Holster.
Smithback ließ erleichtert die Arme sinken. »Ja, jetzt erkenne ich Sie auch wieder. Sergeant O’Shaugnessy, stimmt’s? Der Cop von der Eröffnungsfeier. Was tun Sie denn hier?«
»Vermutlich dasselbe wie Sie«, sagte O’Shaugnessy, bereute seine Redseligkeit aber im selben Moment. Smithback war Reporter, bei so einem musste man sich jedes Wort überlegen. Wehe, Smithback ließ irgendwas in seiner Zeitung anklingen, dann konnte er sich schon mal auf Custers Donnerwetter gefasst machen.
Smithback fuhr sich mit seinem schmuddeligen Taschentuch über die Augenbrauen. »Mann, Sie haben mir vielleicht einen Schrecken eingejagt.«
»Tut mir Leid. Sie sahen verdächtig aus.«
»Kann ich mir gut vorstellen.« Smithback sah sich suchend um. »Irgendwas gefunden?«
»Nein.«
Eine Verlegenheitspause, dann fragte Smithback: »Was glauben Sie, wer’s war? Ein gewöhnlicher Straßenräuber?«
O’Shaugnessy sah ihn stumm an.
»Die Polizei hat doch sicher eine Theorie?«
O’Shaugnessy zuckte die Achseln.
Smithback kam näher und dämpfte die Stimme. »Hören Sie, ich habe Verständnis dafür, wenn das vertraulich bleiben soll. Ich könnte Sie als ›ungenannte Quelle‹ zitieren.«
O’Shaugnessy ging ihm nicht auf den Leim, er hüllte sich weiter beharrlich in Schweigen.
Smithback seufzte. »Na ja, hier gibt’s jedenfalls nichts Aufregendes zu entdecken, so viel steht fest. Da gehe ich wohl besser und nehme mir einen zur Brust. Ich muss noch den Schock runterspülen.« Er ging ein paar Schritte, dann drehte er sich um, als sei ihm etwas eingefallen. »Haben Sie Lust mitzukommen?«
»Nein, danke.«
»Ach, kommen Sie!« Smithback kam noch mal zurück. »Wissen Sie, wenn ich’s mir recht überlege, könnten wir uns in dieser Sache gegenseitig behilflich sein. Sie verstehen schon, was ich meine. Ich brauche unbedingt ein paar Informationen, wie weit die Ermittlungen gegen den ›Chirurgen‹ gediehen sind.«
»Was für einen Chirurgen?«
»So wird der Mörder doch in fast allen Zeitungen genannt. Hört sich für meinen Geschmack zu
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