Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
aus welcher Richtung das Geräusch kam. Und schließlich war er sich ziemlich sicher: Es kam von rechts. Der unsichtbare Verfolger musste sich hinter den hohen Eichenschränken verbergen.
Die Kellergewölbe waren ein verschlungener Irrgarten, aber er kannte sich nach zwei Monaten überwiegend hier unten verbrachter Arbeit inzwischen gut aus. Und so wusste er, dass der Verfolger einen Fehler gemacht hatte. Denn der schmale Flur hinter den Eichenschränken führte in eine Sackgasse.
Er beschleunigte seinen Schritt noch einmal und war wenig später am Ende des Gewölbes, wo ein schwerer Brokatvorhang den Durchgang zum nächsten Raum verbarg. Wren zögerte keine Sekunde. Flink wie ein Frettchen zückte er sein Buchmesser, schob mit dem linken Arm den Vorhang beiseite und richtete den Lichtstrahl der Grubenlampe ins Halbdunkel.
Nichts. Die Kammer war leer.
Aber als er das scharfe Messer wieder eingesteckt und seine ursprüngliche Richtung eingeschlagen hatte, hörte er hastige, nach hinten entweichende Schritte. Sie huschten so leichtfüßig und so behende, dass es nur die Schritte eines Kindes sein konnten.
46
Corrie schaute immer wieder misstrauisch zu den Fenstern der alten Krausschen Schnörkelburg, als sie ihren Wagen um das Haus herumlenkte. Nein, das neugierige alte Weib war an keinem Fenster zu erblicken. Wahrscheinlich fühlte sie sich immer noch krank und war schlafen gegangen. Von Pendergasts Rolls-Royce war auch nichts zu sehen, er schien noch unterwegs zu sein. Das Grundstück wirkte verlassen.
Über ihr ballten sich gefährlich dunkle Wolken. Inzwischen gab es im Radio immer wieder Tornadowarnungen für die Grenzregionen von Colorado. Ein rascher Blick nach links ließ nichts Gutes ahnen, der Himmel sah so schwarz und drohend aus wie eine Schieferplatte. Nun gut, sie brauchte allenfalls eine Viertelstunde, um sich in dem Höhlensystem umzusehen.
Ungefähr vierhundert Meter hinter dem Grundstück bog sie auf einen unbefestigten Feldweg ab, der in die Maisfelder führte. Sie stellte ihren Wagen so ab, dass er von der Straße aus nicht zu sehen war. Das Dach des Krausschen Hauses überragte knapp die Maisstängel. Einen Moment lang fragte sie sich, ob es wirklich eine gute Idee war, sich bei so einem Sauwetter in den Feldern aufzuhalten. Andererseits, wegen des Serienmörders musste sie sich keine Sorgen machen. Pendergast hatte ihr im Brustton der Überzeugung versichert, dass der sich nur nachts in den Maispflanzungen herumtrieb.Sie steckte die Taschenlampe ein, stieg aus dem Auto, sah zu, dass sie die Autotür so leise wie möglich hinter sich zudrückte, und machte sich auf den Weg zum Höhleneingang.
Die Hitze, die über den Feldern waberte, schnürte ihr fast den Atem ab. Die Fruchtkolben waren völlig ausgedörrt – ein sicheres Zeichen, dass sie zu Biosprit verarbeitet werden sollten, da ließ man die Frucht absichtlich austrocknen. Nicht ganz ungefährlich, wenn in den Feldern Feuer ausbrach. Sei’s drum, sie war ja gleich da.
Wenige Meter vor ihr ragte schon der halb in sich zusammengebrochene Lattenzaun auf, der ursprünglich Grenzmarkierung von Kraus’ Grund und Boden gewesen war. Sie folgte dem Verlauf des Zauns zurück, bis sie auf der Höhe des Eingangs angekommen war. Rasch ein Blick nach oben: Nein, die alte Kraus lauerte nicht hinter den Fenstern, das Haus lag wie im Dornröschenschlaf da. Trotzdem, irgendwie wirkte es unheimlich: ohne Nachbarn, heruntergewirtschaftet, als wartete der schwarz geballte Himmel nur auf eine Gelegenheit, ihm den Garaus zu machen. Die Luft roch nach Ozon, die Schwüle wurde von Minute zu Minute unerträglicher. Zu Hause, vom Wohnwagen aus, hatte der Himmel längst nicht so bedrohlich ausgesehen, aber jetzt wurde ihr schlagartig klar, dass sie besser daran tat, sich zu beeilen, ehe über Medicine Creek die Hölle losbrach.
Vorsichtig ging sie den holperigen Pfad hinunter, der zum Höhleneingang führte. Fußspuren oder auch nur die Schleifspur von Schritten konnte sie nirgendwo sehen, in den letzten Tagen hatte also niemand den Pfad benutzt. Einerseits war sie erleichtert, andererseits enttäuscht, denn das bedeutete, dass der Mörder – wenn er überhaupt je an dieser Stelle gewesen war – seit einigen Tagen nicht mehr hier aufgetaucht war. Damit brach ihre Theorie wie ein Kartenhaus zusammen. Eine Schnapsidee, sie hatte es ja geahnt.
Trotzdem, nachdem sie schon da war, konnte sie sich auch gleich ein bisschen umsehen. Sie schaltete die
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