Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
unerklärliche Nervosität, er wurde misstrauisch und anfällig für allerlei Krankheiten. Hinzu kam, dass er immer mehr abnahm, bei jedem Geräusch zusammenzuckte und einen seltsam starren Blick bekam. Um es wörtlich zu zitieren: ›Sein Blick glich dem eines Kalbes, das zu seinem Schlächter geführt wird.‹ Er ließ die Türen seiner Gemächer mit Eisenbeschlägen verstärken. Und eines Tages erschien er nicht zum Frühstück. Seine Studenten fanden die Tür zu seinem Zimmer verriegelt, die Eisenbeschläge glühend heiß. Es roch nach Phosphor und Schwefel. Nur mit größter Mühe konnte die Tür aufgebrochen werden. Im Zimmer bot sich den Helfern ein entsetzlicher Anblick. Geoffrey, Meister von Kent, ruhte festlich gewandet und wie aufgebahrt auf seinem Strohlager. Er wirkte unverletzt, aber sein teils verbranntes, teils noch schwelendes Herz lag neben seinem Körper. Es soll sogar noch geschlagen haben, bis die Studenten es mit Weihwasser besprengten. Dann zerplatzte es.« Sie stockte. »Die Details möchte ich mir lieber ersparen, sie sind … sehr unerfreulich.«
Pendergast wartete, bis sie einen Schluck Tee genommen hatte, dann fragte er: »Ist aus den Aufzeichnungen zu entnehmen, wie der Fürst der Finsternis herbeigerufen wurde?«
»Nun, man zog einen Kreis um sich. Üblicherweise neun Fuß im Durchmesser. Mit einem speziellen Messer, das nur für diese Zeremonie verwendet wurde. Solange man sich innerhalb des Kreises aufhielt, konnten einem die herbeigerufenen Dämonen nichts anhaben.«
»Und dann?«
»Dann schloss man einen Vertrag. Das Übliche: Reichtum, Macht und Wissen im Tausch für die eigene Seele. Faust ist hierfür der Prototyp – vor allem in der Art, wie es endet.«
Pendergast nickte ihr bestätigend zu.
»Nach seinem Pakt mit dem Teufel verfügte Faust über die Macht, die er schon immer angestrebt hatte. Aber er hatte sich auch noch etwas anderes eingehandelt. Faust klagte, er sei nie allein. Ständig werde er von in den Wänden verborgenen Augen belauert. Auch die unablässigen Geräusche haben ihm sehr zugesetzt. Er wurde von Ruhelosigkeit befallen, und als der Zeitpunkt näher rückte, an dem er seinen Pakt einlösen musste, begann er in der Bibel zu lesen und erklärte laut seine Reue und Bußfertigkeit. Er verbrachte den letzten Abend mit Gästen, weinte bitterlich, bereute seine Sünden und flehte den Himmel an, die Zeit möge stehen bleiben.«
Pendergast murmelte kaum vernehmlich: » O lente, lente, currite noctis equi. «
»Dr. Faustus, 5. Akt, 2. Aufzug«, sagte Constance sofort. Und dann zitierte sie: » Die Zeit verrinnt, bald wird die Stunde schlagen, die Faust die ewige Verdammnis kündet. «
Der Hauch eines Lächelns umspielte Pendergasts Mundwinkel.
»Unmittelbar nach Mitternacht sollen schreckliche Schreie aus seinem Haus zu hören gewesen sein«, fuhr Constance fort. »Keiner seiner Gäste wagte jedoch, ihm zu Hilfe zu eilen. Als seine Kammer am nächsten Morgen geöffnet wurde, glich sie einem Schlachthof. Die Wände waren mit Blut beschmiert. In einer Ecke fand jemand einen Augapfel. Faustus’ zerschmetterter Schädel klebte an der Wand. Sein Körper wurde auf der Gasse vor seinem Haus unter einem Haufen frischer Pferdeäpfel entdeckt. Allgemein wurde gemunkelt, er müsse …«
Ein Klopfen unterbrach sie.
»Das wird Sergeant D’Agosta sein«, sagte Pendergast, und nachdem er einen Blick auf die Kaminuhr geworfen hatte, rief er laut: »Kommen Sie herein, Vincent!«
Die Tür öffnete sich, und Sergeant Vincent D’Agosta stolperte in die Bibliothek – mit verschmutzter, zerrissener Kleidung und mit blutenden Risswunden. Pendergast sprang auf. »Mein Gott, Vincent!«
16
D’Agosta ließ sich in einen Sessel fallen. Ein Teil seines Körpers fühlte sich wie abgestorben an, der Rest wie eine einzige große Wunde.
Er sah sich verstohlen um. Hier in der Bibliothek mit den bequemen Sesseln und dem prasselnden Kaminfeuer ließ es sich aushalten. Trotzdem blieb die Frage, warum Pendergast sich mit ihm in diesem alten, mit präparierten Tieren, Skeletten und weiß der Himmel was für Gerümpel voll gestopften Gemäuer verabredet hatte, obwohl er eine luxuriöse Suite am Central Park West besaß. Hoffentlich spielte er nicht mit der Idee, sich auf Dauer hier niederzulassen. Pendergast hatte offenbar einen Gast, aber D’Agosta fühlte sich im Moment zu erschöpft, als dass er sich darüber Gedanken machte. Der Agent musterte ihn besorgt. »Sie sehen aus, als
Weitere Kostenlose Bücher