Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
allgemein als die denkbar harmonischste Gestaltungsform. Der Parthenon wurde danach errichtet, und auch viele Kathedralen und Wandgemälde gehen auf diese Form zurück. Und solche Rechtecke weisen noch eine bemerkenswerte Eigenschaft auf: Wenn man ein Quadrat mit der Seitenlänge der kürzeren Seite des Rechtecks abschneidet, bleibt wiederum ein Goldenes Rechteck übrig. Dieser Prozess lässt sich ad infinitum fortsetzen.«
»Ich verstehe«, behauptete Harriman kühn.
»Wenn Sie also mit einem großen Goldenen Rechteck beginnen und dieses immer mehr verkleinern, indem Sie ein Quadrat nach dem anderen davon abschneiden, die Zentren der entstehenden Rechtecke dann miteinander verbinden, so erhalten Sie eine Spirale, die exakt der natürlichen Spirale der Nautilusmuschel gleicht. Dasselbe Phänomen lässt sich auch in anderen Bereichen beobachten, beim Blütenkopf einer Sonnenblume ebenso wie bei der Harmonie eines Musikstückes. Der Goldene Schnitt ist ein grundlegendes Phänomen der Natur und sogar der Struktur des Universums. Niemand weiß, warum das so ist.«
Harriman verfolgte mit gemischten Gefühlen, wie von Menck die Muschel in ihr Behältnis zurücklegte, es zum Bücherregal trug und hinter der Glaswand verwahrte. Er kam nicht mehr mit, und wenn er nicht mehr mitkam, würde es den Lesern der Post mit Sicherheit genauso gehen. Das Ganze war reine Zeitverschwendung, am besten packte er seine Siebensachen, um sich so schnell wie möglich zu verabschieden. Von Mencks forschender Blick schien ihn auszuloten. »Sind Sie ein religiöser Mensch, Mr Harriman?«
Die Frage kam so überraschend, dass Harriman im ersten Moment keine Antwort einfiel.
»Ich meine das nicht unbedingt im Sinne der Zugehörigkeit zu einer Kirche. Ich will lediglich wissen, ob Sie glauben, dass es im Universum eine alles lenkende Kraft gibt.«
»Darüber habe ich nie nachgedacht«, sagte Harriman. »Ich denke, dass es so etwas geben muss.« Er war in einer religiösen Familie aufgewachsen, hatte aber außer bei Hochzeiten oder Beerdigungen seit fast zwanzig Jahren keinen Fuß mehr in eine Kirche gesetzt.
»Dann werden Sie – wie ich – glauben, dass unser Leben auf ein Ziel ausgerichtet ist«, fuhr von Menck fort. Harriman schaltete sein Tonbandgerät aus. Das Gerede brachte ihn doch keinen Schritt weiter! Wenn es ihn nach religiöser Belehrung verlangte, würde er sich an die Zeugen Jehovas wenden. »Bei allem Respekt, Doktor, ich kann nicht erkennen, was das mit den beiden Morden zu tun hat.«
»Geduld, Mr Harriman! Meine Beweisführung mag umständlich erscheinen, aber wenn ich bei meinen Schlussfolgerungen angekommen bin, werden diese Sie, wenn ich es mal so ausdrücken darf, geradezu umhauen.«
Harriman fasste sich in Geduld.
»Ich will Ihnen das erklären. Mein Leben lang habe ich mich damit beschäftigt, das Mysteriöse und Unerklärliche zu studieren. Viele Rätsel konnte ich lösen, und das war jedes Mal ein Ansporn, noch mehr zu ergründen. Aber bei anderen Rätseln – und zwar meistens bei den wichtigsten – war ich mit meinem Latein am Ende.«
Er nahm ein Stück Papier, schrieb etwas darauf und legte es vor Harriman auf den Tisch.
3243 1239
»Die beiden Zahlen sind für mich immer die größten Geheimnisse des Lebens gewesen. Erkennen Sie, wofür sie stehen?«
Harriman schüttelte den Kopf.
»Sie stehen für die beiden gewaltigsten Umwälzungen, denen die menschliche Kultur jemals ausgesetzt war. Im Jahr 3243 vor Christus ist die Insel Santorin explodiert. Die darauf entstehende gewaltige Flutwelle löschte nicht nur die minoische Kultur auf Kreta aus, sondern verwüstete nahezu die gesamte Mittelmeerregion. Diese Katastrophe ist der historische Hintergrund für die Legenden von Atlantis und der Sintflut. Und 1239 vor Christus wurden die Städte Sodom und Gomorra von einem glühenden Ascheregen vernichtet.«
Harriman sah ihn entgeistert an. Atlantis? Sodom und Gomorra? O Gott, das wurde ja immer verrückter! Von Menck deutete auf seinen Zettel. »Hesiod beschreibt Atlantis in zweien seiner Werke, Timaeus und Critias. Ein paar Details stimmen nicht, zum Beispiel das Datum, das er mit etwa 9000 vor Christus angibt. Jüngste archäologische Ausgrabungen auf Kreta und Sardinien sprechen eher für das von mir genannte Datum. Die Geschichte von der versunkenen Stadt Atlantis wurde so lange ausgeschmückt, bis viele sie fälschlich für einen Mythos gehalten haben. Aber ernst zu nehmende Archäologen sind davon
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