Pendergast 12 - Fear - Grab des Schreckens
sei denn … aber war das überhaupt möglich?
Rasch öffnete er die Tür, sie führte in einen unbearbeiteten steinernen Gang und zu einer Treppe nach unten, die aus einer natürlichen Spalte im Schiefergrundgestein gehauen war. Von unten stieg ein durchdringender Geruch nach Schimmel und Feuchtigkeit herauf. Er stieg die lange Reihe der primitiven Stufen hinab und gelangte zu einem uralten steinernen Kai neben einem Wassertunnel – die Höhle des Flusspiraten, dem ein früheres Haus nahe dem Gelände der Villa gehört hatte. Normalerweise lag ein altes Ruderboot umgedreht auf dem Kai, jetzt aber war es verschwunden. Frische Spritzer und Wasserpfützen auf den steinernen Rändern des Kais belegten die Tatsache, dass das Boot vor kurzem zu Wasser gelassen worden war.
Pendergast wusste, dass der Schmugglertunnel zum Hudson führte. Der Tunnel war so gut verborgen, der Gang von ihm zum Untergeschoss so sorgfältig verrammelt und verriegelt, dass er den hinteren Tunneleingang immer für unauffindbar und unüberwindbar gehalten hatte. Nun wurde ihm klar, dass es sich dabei um einen törichten Irrtum handelte. Alban und sein Opfer hatten eine Stunde Vorsprung – und keine Spur führte zu ihnen.
Halb setzte er sich, halb sank er auf den steinernen Boden des Kais.
46
D r. John Felder trat aus dem Torhaus und schloss leise die Tür hinter sich. Wie der Kalender versprochen hatte, war es eine mondlose Nacht. Die Wintour-Villa besaß keine Außenbeleuchtung – Miss Wintour war zu geizig, mehr Glühbirnen zu kaufen als absolut nötig –, so dass der uralte Schuppen wie eine riesige dunkle Gestalt vor ihm aufragte, Schwarz vor Schwarz.
Er holte tief Luft, dann drängte er sich durch das kniehohe Gestrüpp aus abgestorbenem Unkraut und Gras. Es war kalt, knapp über dem Gefrierpunkt, und sein Atem beschlug in der Luft. Die Villa, die Straße, die ganze Stadt Southport schien sich in Schweigen zu hüllen. Trotz der Dunkelheit kam er sich schrecklich exponiert vor.
Er kam am Hauptgebäude an und drückte sich gegen dessen kühle Fassade. Er blieb stehen und lauschte. Alles war still. Er schlich sich an der Außenwand lang, bis er zum großen Erkerfenster der Bibliothek gelangte. Die Bibliothek verfügte über drei Flügelfenster. Felder ging noch langsamer und spähte ins nächstgelegene Fenster. Totale Finsternis.
Er zog sich ein wenig zurück, drückte sich mit dem Rücken an die Steinfassade und sah sich um. Nichts, nicht einmal der Laut eines vorbeifahrenden Fahrzeugs, das die Stille durchbrach. Diese Seite der Villa lag im rechten Winkel zur Straße, vor Blicken geschützt durch eine Mauer mit uralten Thujabüschen, die an der Innenkante des gusseisernen Zauns gepflanzt worden waren. Er konnte nicht gesehen werden.
Dennoch verharrte er im Schutz des Bibliotheksfensters. Wollte er es wirklich tun? Als er am Abend, Stunde um Stunde auf Mitternacht wartend, im Torhaus gesessen hatte, hatte er sich eingeredet, nichts wirklich Falsches vorzuhaben. Er wollte bloß die Mappe eines zweitklassigen Künstlers entwenden, für den sich niemand interessierte, am wenigsten Miss Wintour. Ja, er würde die Mappe nicht mal entwenden. Er lieh sie sich nur aus. Hinterher konnte er ihr die Bilder einfach anonym zurückschicken. Nichts passiert …
Doch dann war er in die Realität zurückgekehrt. Er plante einen Einbruchdiebstahl. Das war strafbar, ein Vergehen, vielleicht sogar eine schwere Straftat, die ihn möglicherweise hinter Gitter brachte. Und dann wanderten seine Gedanken zu Dukchuck – und eingebuchtet zu werden, erschien ihm besser, als von ihm auf frischer Tat ertappt zu werden.
Wegen der Kälte und dem Mangel an Bewegung wurden seine Füße allmählich taub, so dass er sich anders hinstellte. Wollte er das hier wirklich tun? Ja, gleich – noch eine Minute. Vielleicht auch zwei.
Er griff in seine Jackentasche und überprüfte den Inhalt. Eine Taschenlampe, ein Schraubenzieher, ein Skalpell, eine Dose Haushaltsöl, ein Paar dünne Lederhandschuhe. Wieder holte er tief und erschauernd Luft, blickte sich erneut um. Nichts. Alles war absolut dunkel; die Bibliotheksfenster mit ihren schweren Rahmen waren kaum auszumachen. In der Villa herrschte Grabesstille. Wieder sekundenlanges Zögern, und dann holte er seine Handschuhe aus der Tasche, zog sie über und trat ans nächstgelegene Fenster.
Er drückte sich eng an den Fensterflügel und holte seine Taschenlampe hervor. Während er ihren Lichtstrahl mit seinem Handschuh
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