Penelope Williamson
die
Kartoffeln vom Feuer zu nehmen, bevor sie zu Brei verkochten. Er dachte daran,
den Krug Poitín aus dem Küchenschrank zu nehmen. Sein Mund war trocken
wie Stroh.
»Dhia. Was
bist du doch für ein großartiger Lügner, Seamus. Du sagst ihr und dir, daß es
dir nichts ausmacht.«
Es war hart für Emma, zum Haus in der Thames Street zurückzukommen
und zu wissen, daß er vielleicht dasein würde. Sie konnte sich nicht von ihren
Gefühlen für ihn befreien, aber er würde immer Bria gehören.
Deshalb wäre sie beinahe nicht
mehr hingegangen und hätte es tatsächlich auch getan, wenn nicht das
Versprechen gewesen wäre, das sie Bria gegeben hatte.
Trotzdem
ließ sie einige Zeit vergehen, bevor sie wiederkam. Sie wählte einen Tag, an
dem sich kaum ein Lüftchen regte, denn sie wußte, er würde ein paar Stunden brauchen,
um mit dem Boot zurückzukommen. Es war ein heißer Tag mit grellem gelben Sonnenschein
und feuchter dunstiger Luft gewesen – einer dieser Sommertage in Bristol, an
denen Emma glaubte, die Hitze beinahe zu hören, die schwitzte, keuchte und
tropfte.
Am Abend war es heiß im Haus. Emma ließ die Tür offen,
denn sie erinnerte sich, wie sehr sich Bria immer nach Licht gesehnt hatte. Sie
nahm den Hut ab, zog die Handschuhe aus und hatte sie gerade auf den Tisch
gelegt, als es geschah: Sie blickte auf und sah Bria am Herd stehen.
Bria stand am Herd, und ihre
Hand lag auf dem Teekessel. Sie hatte ein Küchentuch um die Hand gewickelt, als
fürchte sie, der Henkel des Kessels, aus dessen Tülle Dampf aufstieg, sei zu
heiß.
Sie trug
das Seidennachthemd mit dem üppigen Spitzenbesatz an den Ärmeln, das Emma ihr gegeben hatte. Ihr unbändiges rotes
Haar war wie so oft mit einem Stück Schnur am Hinterkopf zusammengebunden,
aber ein paar Strähnen hatten sich gelöst und klebten an ihren feuchten Wangen.
Bänder von Sonnenlicht rollten von der offenen Tür über den Fußboden und wanden
sich um ihre nackten Füße. Das Nachthemd war zu kurz. Emma sah die weißen
Knöchel der Fußgelenke.
»Bria ...«,
flüsterte Emma gequält.
Bria, jene Bria am Herd drehte
sich um und lächelte. Ihre dunklen Augen leuchteten, als sie Emma sah.
Dann
verschwand sie.
»Das war
Mama.«
Emma fuhr
so schnell herum, daß sie schwankte und sich an der Lehne des Küchenstuhl
festhalten mußte, um nicht zu fallen. Ihr klopfendes Herz dröhnte ihr in den
Ohren wie die stürmische Brandung.
Merry stand in der offenen Tür.
Sie kam zweifellos aus der Fabrik. Baumwollfusseln und Fäden hingen an ihrem
Kleid und in ihren Haaren. Die nackten Füße waren schwarz und ölverschmiert.
»Du hast sie gesehen«, sagte
Emma oder glaubte es zu sagen. Die Lunge versagte ihr den Dienst.
Merry
summte und nickte.
Emma drehte
sich wieder nach dem Herd um. Sie machte mit zitternden Beinen einen Schritt
darauf zu. Dort war niemand. Der Kessel stand auf dem Herd, und das Feuer war
aus.
Doch Bria war so wirklich
gewesen, als sie dort am Herd stand. Einen Moment lang war sie wirklich
dagewesen – eine Frau in einem Nachthemd, das zu kurz für sie war, die einen
dampfenden Teekessel mit der in ein Küchentuch eingewickelten Hand hielt. Es war
keine amorphe, verschwommene Gestalt gewesen, die in der Luft schwebte. Sie
hatte geschwitzt.
Emma schluckte und holte tief
Luft. Sie schloß die Augen und schlug sie wieder auf. Es stand immer noch keine
Frau am Herd. Merry trat neben sie und ergriff ihre Hand.
Emmas Hand
zitterte. Sie versuchte, das Zittern zu unterdrücken, doch es
gelang ihr nicht. Sie konnte auch nicht verhindern, daß ihre Stimme zitterte.
»Hast du sie ... hast du deine Mama schon einmal zuvor gesehen?«
»Manchmal«, sagte Merry. Sie summte
nicht, sondern sprach. »Sie kommt, wenn Papa weint. Er sitzt manchmal ganz spät
abends hier am Tisch. Er tut nichts, sondern sitzt einfach da. Und er redet mit
ihr, mit Mama. Er sagt: >Bria, mein Liebling, warum bist du gegangen und
hast mich allein gelassen?< Und dann weint er. Dann kommt sie und steht
hinter ihm. Sie legt die Hand auf seine Haare.«
»Dein
Vater ...«, Emma räusperte sich. »Sieht er sie?«
Merry summte ein nein. Sie
atmete tief ein und summte noch einmal laut und lange. Dann öffnete sie den
Mund, und Emma glaubte, sie werde wieder sprechen. Doch in diesem Augenblick
stürmte Noreen in die Küche. Sie hielt den kleinen Jacko auf den Armen und
plapperte munter wie eine Elster.
»Mrs. Hale
sagt, er war heute so süß wie ein Zuckerpüppchen! Und ich habe gesagt:
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