Penelope Williamson
schrecklichen, aber unvermeidlichen Augenblick, wenn er
sie in ihrem jetzigen Zustand sah. Als Stuart vor sieben Jahren Bristol
verlassen hatte, war Madeleine Tremayne ein fröhliches zwölfjähriges Mädchen
gewesen mit Sommersprossen auf der Nase und einem sonnigen lachenden Mund. Sie
hatte immer etwas vor – entweder wollte sie schwimmen, Tennis spielen, reiten oder
Schlittschuh laufen. Mit den verkrüppelten Beinen war sie nur noch ein
Schatten ihres früheren Selbst.
Emma
vermutete, daß Maddie schon immer in Stuart verliebt gewesen war. Für sie
mochte der extravagante und sündhaft gutaussehende
Bruder von Geoffrey mehr als nur eine törichte Jugendliebe gewesen sein. Maddie
hatte allerdings nie über ihre Gefühle gesprochen.
Aber sie
sprachen ebensowenig über die quälenden Alpträume, die sie alle bedrohten und
unter denen sie alle litten. Für Maddie würde es ohnehin nie eine Hochzeit
geben. Sie würde weder Stuart Alcott noch einen anderen Mann heiraten.Emma
erinnerte sich plötzlich an einen Tag, als sie alle noch Kinder waren. Sie
hatten hier auf der Südterrasse mit den Farnen gesessen und den
Schaukelstühlen, die hier schon standen, als ihr Vater noch ein Junge gewesen
war.
Es war im
Sommer gewesen, an einem jener seltenen heißen Tage, an denen sich die
Birkenblätter einrollen und vor Hitze knistern. Emma erinnerte sich daran, daß
sie barfuß lief. Es war ein wundervolles Gefühl, die Zehen auf den glatten
lackierten Dielen der Terrasse zu spüren. Sie trugen Badekostüme, denn sie
waren gerade vom Schwimmen in der Bucht zurückgekommen. Der schwarze nasse
Flanell, der sie vom Kinn bis zu den Knöcheln einhüllte, klebte förmlich an der
Haut. Alles juckte. Sie waren damals noch so jung – das heißt sie und Maddie.
Die Alcott-Brüder mit ihren vierzehn und siebzehn Jahren schienen schon beinahe
erwachsene Männer zu sein.
Irgendwie
redeten sie über die Zukunft. Stuart erklärte, er werde ein Zirkusmädchen
heiraten. Maddie lachte und lachte ohne Unterlaß, als sei das furchtbar
komisch, obwohl sie mit sieben kaum wissen konnte, was ein Zirkusmädchen war.
Emma
wollte nicht zurückstehen und sagte, sie werde davonlaufen und in Paris in
einer Mansarde mit einem Mann leben, der eine Baskenmütze trug und Zigaretten
rauchte. Für sie werde es nur die freie Liebe geben, erklärte Emma, obwohl sie
mit zehn Jahren überhaupt nicht wußte, was das bedeutete.
Damals hatte Geoffrey erwidert:
»Du bist eine dumme Gans, Emma Tremayne. Du wirst mich heiraten.«
Emma wollte ihn auf die Nase
boxen, weil er sie eine dumme Gans genannt hatte, aber er wich ihrem Schlag
aus, und sie traf den Pfosten der Veranda. Sie verletzte sich die Hand an einer
holzgeschnitzten Ananas so schwer, daß die
Wunde mit drei Stichen genäht werden mußte.
Und jetzt
stand sie hier und würde sich mit Geoffrey Alcott verloben. Es ist mein
Schicksal, dachte Emma und spürte einen Schauer, eine Art ahnungsvolle Angst.
Es war unvermeidlich gewesen und jetzt endgültig. Es war zu spät, um noch etwas
zu ändern, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Nun ja, ihr Bruder war tot und
ihre Schwester ein Krüppel. Damit blieb nur sie, Emma, die heiraten, Kinder
haben und den Fortbestand der Familie und der Traditionen sichern konnte.
Wenn
Willie doch nur ...
Aber sie
hatte kein Recht, an Willie zu denken, sich vorzustellen, daß er sie vielleicht
befreit hätte, wenn er am Leben geblieben wäre. Maddie hatte eine Weile
geschwiegen. Emma beugte sich ein wenig vor und sah die Spur einer getrockneten
Träne auf der Wange ihrer Schwester. Sie bekam ein schlechtes Gewissen, weil
sie die vielen Segnungen des Himmels so gering schätzte, während die arme
Maddie um das trauern mußte, was sie nie haben würde.
Emma wünschte sich plötzlich,
mit ihrer Schwester über Willie reden zu können, über die Wahrheit, seinen Tod
und über die Lücke, die diese Tragödie in ihr Leben gerissen hatte.
Wir werden
nie wieder darüber sprechen.
Willie war
damals, an jenem heißen Sommertag, auch dabei gewesen. Er hatte still, wie es
seine Art war, in einem der Schaukelstühle gesessen. Er hatte sich über Maddie
lustig gemacht, weil sie über das Zirkusmädchen lachte, und er hatte das Blut
an Emmas Hand mit seinem Taschentuch gestillt. Aber er hatte an diesem Tag
nicht viel gesprochen. Von ihnen allen hütete Willie die Geheimnisse seines
Herzens am besten.
Der Wind
rauschte in den Birken, und aus den grauen Wolken fiel eisiger Regen. Emma
hörte
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