Penelope Williamson
Augen lag
ein unmißverständlicher Vorwurf. »Ach ja, mein Kind, mag sein, aber man spricht
beim Tee nicht über unangenehme Dinge.«
Sie wandte
sich lächelnd an ihre Gäste und fragte: »Haben Sie schon das Neueste gehört?
Der junge Stuart Alcott ist schließlich doch wieder reumütig nach Hause
zurückgekommen, zweifellos ohne Geld und nicht gerade ruhmvoll.«
Maddies
Kopf fuhr herum, sie sah Emma fragend an und blickte dann wieder zur Seite.
Zwei hektische rote Flecken erschienen auf ihrer Wange, und ihre Hand begann so
heftig zu zittern, daß die Teetasse auf der Untertasse klapperte. Sie
verschüttete etwas Tee auf die Serviette, die auf ihren Knien lag.
Bethel
griff nach dem Silberglöckchen auf dem Servierwagen, aber in diesem Augenblick
erschienen die nächsten Gäste. Es waren drei verheiratete Damen. Sie
bewunderten Emmas schönen Saphir auf dem Verlobungsring und übersahen
geflissentlich Maddies weißes Gesicht und die zitternden Hände. Niemand redete
mehr über den verunglückten Jungen und über unverbesserliche junge Männer. Das
Gespräch drehte sich nur um das Wetter und die Hochzeit in zwei Jahren.
Die Besucherinnen
verabschiedeten sich pünktlich um fünf Uhr, wie es den Regeln entsprach.
Ein bedrückendes Schweigen
breitete sich im Salon aus. Emma glaubte, den Zorn ihrer Mutter beinahe wie
einen schwarzen Fleck in der Luft sehen zu
können. Sie wußte, sie würde es teuer bezahlen müssen, über »unerfreuliche
Dinge« beim Tee gesprochen zu haben. Aber die Wut ihrer Mutter richtete sich
gegen Maddie.
»Du bist
eine Schande für die Familie, Madeleine Tremayne«, sagte Bethel leise, aber
ihre Worte trafen mitten ins Herz. Und obwohl sie klein war, schien sie
plötzlich den Rollstuhl zu überragen, so daß Maddie bei jedem Wort tiefer und
tiefer in dem geflochtenen Sitz versank.
»Unsere
Freunde sind gekommen, um unsere Emma zu sehen, und du ziehst alle
Aufmerksamkeit auf dich wie eine billige Schauspielerin. Da du dich offenbar
in Gesellschaft nicht benehmen kannst, kann ich nicht zulassen, daß du in
Zukunft dabei bist, wenn wir Gäste haben.«
»Sie
kommen wegen meiner Verlobung, Mama«, erwiderte Emma. Es gelang ihr
trotz größter Mühe nicht, die Betroffenheit in ihrer Stimme zu verbergen. »Ich
möchte, daß Maddie bei mir ist.«
»Das geht
nicht, Emma. Sie kann sich nicht benehmen. Sie sitzt in diesem ...
abscheulichen Gefährt. Sie hat keine Kontrolle über sich und verschüttet sogar
ihren Tee. Ihre Anwesenheit bereitet unseren Freunden Unbehagen. Deshalb geht
es nicht.«
»Aber Mama
...«
Ihre
Mutter nahm mit Daumen und Zeigefinger Emmas Kinn und drehte ihren Kopf zum
Fenster. »Und du wirst an den Nachmittagen, wenn wir Gäste empfangen, nicht
noch einmal auf die Veranda hinausgehen. Der scharfe Wind rötet dir die
Wangen. Ich möchte nicht, daß die Leute glauben, ich erlaube dir Rouge
aufzulegen, wie diese Frauen in der Thames Street es tun.«
Tränen
brannten in Emmas Augen, als sie ihrer Mutter nachsah, die im eng geschnürten
Korsett steif und aufrecht den Salon verließ. Aber der Anblick ihrer bleichen
Schwester schnitt ihr ins Herz.
»0 Maddie,
es tut mir so leid.« Sie kniete sich neben Maddies Rollstuhl und griff nach
ihren Händen. Sie waren kalt und zitterten. Emma versuchte, sie zu wärmen.
»Mama ist wütend auf mich. Und sie weiß wie immer mit unfehlbarer Sicherheit,
wie sie mich am besten treffen kann. Deshalb läßt sie ihren Zorn an dir aus.«
»Schäme
dich, Emmaline Tremayne, du hast schon wieder rote Wangen«, imitierte Maddie
ihre Mutter. »Das kann ich nicht dulden.« Maddie lächelte, aber Emma entging
nicht, daß sie ihre Verzweiflung hinunterzuschlucken versuchte und mit den
Tränen kämpfte.
Ihre Schwester senkte den Kopf und blickte auf ihren
Schoß. Sie zog die Hände zurück und zupfte an den Fransen der Decke über ihren
Beinen. »Emma, sei ein Schatz und rufe einen der Dienstboten, der mich in mein
Zimmer bringt. Ich muß jetzt eine Weile allein sein.«
»0 Maddie! Sollten wir nicht ...«
»Nein, das
sollten wir nicht. Ich möchte nicht über ihn sprechen, denn da ist nichts zu
sagen. Da er wieder zu Hause ist, werden wir uns vermutlich früher oder später
begegnen. Er wird mit eigenen Augen sehen, daß ich verkrüppelt bin, und dann
ist auch das endgültig vorbei.«
Als Maddie es sich mit einem Glas Milch und ihren Lieblingsgedichten
im Bett bequem gemacht hatte, hielt es Emma keinen Augenblick mehr länger im
Haus aus. Sie wollte
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