Penelope Williamson
Welt dafür geben, einen Mann zu haben,
der mich so ansieht, dachte Emma betroffen.
Als er an den Herd trat,
begrüßte er Emma. »Guten Tag, Miss Tremayne.« Ihr wurde bewußt, daß er sie noch
keines Blickes gewürdigt hatte – auch jetzt sah er sie nicht an.
»Guten Tag, Mr. McKenna«,
erwiderte sie höflich und fand es eigenartig, seinen Namen auszusprechen.
Er ist nur
ein gewöhnlicher Mann, dachte sie, ein eingewanderter Fischer. Er hat eine
Frau, zwei Töchter, und ein drittes Kind ist unterwegs. Das alles wußte sie
jetzt, und deshalb verstand sie nicht, daß ihr Herz wie rasend klopfte,
als sei er noch immer der Held ihrer kühnsten Träume.
»Ich ...
ich sollte jetzt besser gehen«, sagte Emma.
Bria legte ihr den Arm um die
Hüfte und schob sie zum Tisch. »Nein, das kommt nicht in Frage. Sie trinken mit
uns Tee.«
Emma
dachte in den nächsten Tagen oft an diesen Tee. Sie tat es, wenn sie mit
Geoffrey in der Hope Street Tennis spielte oder am Dienstag mit Miss Liluth zum
Bahnhof fuhr, wo die alte Frau auf den Zug aus Providence wartete. Sie dachte
an den Tee mit den McKennas, wenn sie zu Hause allein im Eßzimmer saß und das
Silber leise auf dem Knochenporzellan klirrte. Emma dachte an alle McKennas.
Sie saß mit
Bria und den Mädchen am Tisch und sah zu, wie er den Kessel mit dem Teewasser
auf den Herd stellte. Als er ein braunes Brot zum Tisch brachte, strich er
Merry über die rotblonden Locken. Als er die Tassen auf die Untertassen
stellte, nahm er sich die Zeit, die Schulter seiner Frau zu drücken. Er beugte
sich über sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr, worauf sie lächelte. Er neckte
Noreen damit, daß sie einem Jungen namens Rory die Nase blutig gehauen hatte.
Dann zwickte er seiner Tochter spielerisch in die Nase, und sie lachten beide.
Emma hatte noch nie einen Mann gesehen, hatte noch nie jemanden erlebt, der so
lachen, so lustig und spielerisch sein konnte wie er, und der seiner Familie so
nahe war.
Emma
versuchte, sich Geoffrey vorzustellen. Würde er sich so zu ihr und ihren
Kindern verhalten? Natürlich nicht. Es schickte sich nicht, Gefühle so offen zu
zeigen. Nicht einmal das eigene Herz durfte die Geheimnisse tiefster Zuneigung
und zärtlicher Hoffnungen kennen. Die dunklen Sehnsüchte und gefährlichen
Abgründe konnte sich niemand eingestehen.
Emma suchte
in ihren Erinnerungen nach Berührungen ihres Vaters, nach dem Gefühl seiner
Hand auf ihrem Haar. Aber wenn sie die Augen schloß, sah sie nur einen großen
Mann in einem eleganten schwarzen Gehrock und Zylinder. Ihr Vater schien stets
mit seinen Gedanken in fernen Regionen zu weilen, die niemand außer ihm sah,
oder er überließ sich Träumen, die keiner mit ihm teilte. Außer ... außer in
dem wunderbaren Sommer, als er ihr das Segeln beibrachte.
Nur damals
schien er von dieser Welt zu sein, und sie war mit ihm wirklich einmal
zusammen. Es waren einzigartige blaue Tage voll Sonnenschein gewesen, als sie
auf dem kleinen Segelboot, das er eigens für sie hatte bauen lassen, über die
Bucht segelten. In diesen Augenblicken waren sie beide glücklich gewesen. Daran
konnte sich Emma noch gut erinnern.
Ihr Vater
hatte sie natürlich nie in eine Spinnerei zum Arbeiten geschickt.
Sie blickte
auf Shay, auf seine Narben, und sah die strahlenden Augen, die von so
unglaublicher Kraft waren. Er wirkte noch immer wie der gefährliche Rebell
ihrer kühnen Träume, aber dieser Mann war er nicht. Das begriff sie jetzt.
Dieser Mann mußte mitansehen, wie sich seine Frau mit jedem Atemzug
unbarmherzig weiter dem Tod näherte, und er mußte seine Kinder in die Hölle der
Spinnerei schicken. Trotzdem gab er denen, die es seiner Meinung nach noch
nötiger hatten, einen Teil von seinem Lohn. Er kämpfte als Rebell für ein Land
mit schwarzen Felsen, Sümpfen und strohgedeckten Hütten, das er vermutlich nie
mehr wiedersehen würde. Er hatte mit seinen Händen brutal getötet, aber
dieselben Hände strichen liebevoll über die Haare seiner Töchter.
Emma hatte diesen Mann durch
Brias Augen und durch ihre Worte kennengelernt:
»Ich war verrückt nach ihm, und
er hatte nur Sinn für Bücher und alle anderen Mädchen.«
»In Irland verdiente er unseren
Lebensunterhalt mit einem Fischerboot und Netzen.«
»Er ist nicht glücklich,
wenn er das, was ihn bewegt, nicht auch aussprechen kann. Große Worte hat er
immer parat.«
»Seine
Fäuste sind so groß wie Kuchenteller, aber er hat weder mich noch die Mädchen
jemals im Zorn geschlagen,
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