Pension der Sehnsucht
in ihr Zimmer zurückzuziehen, um dort ihr erhitztes Gemüt wieder abzukühlen, denn sie musste sich um viele kleine, aber nervenaufreibende Einzelheiten kümmern. Erst nach zehn Uhr konnte sie aufatmend die Tür hinter sich schließen und ihrem Zorn Luft machen.
»Provinziell«, schimpfte Nelly. Sie blickte auf einen Tisch, der mindestens achtzig Jahre alt war. Die Person da unten zog wahrscheinlich schwarz-weiß-karierte Plastikmöbel vor. Nacheinander betrachtete Nelly liebevoll die antike Aussteuertruhe, das alte Schulmeisterpult und den Ohrensessel, dessen grüner Bezug bereits an einigen Stellen zerschlissen war.
Jedes Zimmer des Hauses hatte eine besondere persönliche Note. Nelly schloss die Augen und stellte sich den Raum vor, den Eliza bezogen hatte. Nelly liebte die zart geblümte Biedermeiertapete, den glänzend gebohnerten Dielenfußboden und den gepolsterten Fenstersitz im Erker.
Das Prunkstück war jedoch eine altmodische hohe Walnusskommode mit tropfenförmigen Messinggriffen. Jeder Gast dieses Zimmers war davon bezaubert.
Eliza Trainor soll ja nicht wagen, mein Hotel auf den Kopf zu stellen, schwor sie sich. Nelly betrachtete sich in einem Spiegel und seufzte tief. Elizas Gesicht wirkt wie ein Juwel, dachte sie, und meins wie eine Reklame für Butter, Milch und Käse. Dann schloss sie sich in ihrem Zimmer ein.
Wie soll ich Percy davon überzeugen, dass das Hotel so bleiben muss, wie es ist, wenn sie ihm ständig Modernisierungen einflüstert? Ich glaube ohnehin nicht, dass sie ausschließlich seine Dekorateurin ist. Nelly runzelte wütend die Stirn. Mir können sie nicht weismachen, dass sie sich einen ganzen Tag lang in ihrem Zimmer über Stoffmuster unterhalten haben.
Ihr Privatleben geht mich natürlich nichts an, überlegte sie, aber wenn sie ohne meine Einwilligung die Tapeten von den Wänden reißen wollen, haben sie sich geirrt. Die beiden werden noch etwas erleben. Erschrocken drehte Nelly sich um, als plötzlich die Tür aufging und Percy ins Zimmer trat.
Erstaunt beobachtete sie, dass er die Tür absperrte und den Schlüssel wütend in seine Jackentasche steckte.
»Nur, weil du der Besitzer bist, hast du noch lange kein Recht, ohne triftigen Grund den Zweitschlüssel zu benutzen.«
»Mir scheint, ich habe mich nicht klar genug ausgedrückt«, erwiderte Percy mit trügerisch sanfter Stimme. »Bis auf Weiteres ließ ich dir bei der Führung dieses Betriebes freie Hand, denn ich hatte nicht die Absicht und habe sie auch jetzt noch nicht, die tägliche Routine zu stören. Aber …« Er trat einen Schritt näher, und Nelly rückte von ihm ab, bis sie an die Kante des Tisches stieß. »Ich lasse mir das Heft nicht ganz aus der Hand nehmen. Sämtliche wichtigen Entscheidungen treffe ich allein.«
»Du bist der geborene Tyrann …«
»Das hier ist keine Plauderei. Deine Meinung über meinen Charakter interessiert mich nicht«, schnitt er ihr das Wort ab. »Ich verbitte mir, dass du über meinen Kopf hinweg irgendwelche Befehle erteilst. Eliza ist meine Angestellte. Ich bestimme, was sie zu tun hat und wann sie es tun soll.«
»Du wirst doch wohl nicht zulassen, dass sie all diese schönen alten Stücke hinauswirft und durch Plastikmöbel ersetzt. Die Anrichte im Esszimmer ist reines Hepplewhite. Allein in deinem Zimmer stehen zwei Chippendale-Möbel, und …«
Nelly verstummte, als Percy ihren Nacken umfasste.
»Welche Anweisungen ich Eliza geben werde, ist allein meine Sache, die dich nicht das Geringste angeht.« Sein Griff wurde fester. »Und du behältst deine Ansichten für dich, es sei denn, ich frage dich ausdrücklich nach deiner Meinung. Misch dich nicht dauernd in meine Angelegenheiten, sonst könnte es dir noch leid tun. Hast du mich verstanden?«
»Vollkommen. Miss Trainors Einfluss hat dich meinen Argumenten gegenüber blind und taub gemacht.«
»Und wenn schon. Auch das geht dich nichts an.«
»Deine private Beziehung zu Miss Trainor ist mir vollkommen gleichgültig«, erwiderte sie, »aber alles, was dieses Hotel betrifft, geht mich sehr viel an. Ich gab dir meine Kündigung, aber du hast sie zerrissen. Inzwischen habe ich beschlossen, hier nicht von der Stelle zu weichen. Wenn du mich loswerden willst, musst du mich schon rauswerfen.«
»Reiz mich nicht bis zur Weißglut.« Er ließ die Hand sinken und berührte mit den Fingerspitzen den obersten Knopf ihres Kleides. »Ich habe meine Gründe, dich hier zu behalten, aber ich lasse mir von dir nicht alles bieten. Ich
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