Per Anhalter (German Edition)
hier am Waldesrand, im stets moosigen Humus nach Würmern piekte.
Sie konnte Stunden damit zubringen, die Natur mit all ihren kleinen und großen Wundern zu betrachten.
Ihr Zeitfenster war breit und sie konnte sich alles wunderbar einteilen. Die Kinder waren schon groß und aus dem Haus, wozu sollte sie sich also Stress machen?
Heute war wieder so ein Tag, da genoss sie es einfach, so wundervoll zu leben.
So einsam, so prunkvoll, so idyllisch. Manchmal verkennt man im Alltag ja einfach, ganz gleich, wie man auch lebt, wie kostbar einfache Momente sind.
Heute nicht.
Heute kostete sie ihr Leben so richtig aus. Einfach mit der Gießkanne in der Hand in ihrem Garten zu stehen und diesen Vogel zu betrachten. Wie erquickend!
Sie atmete den süßen Waldesduft ein und eine sanfte Woge der Wonne überkam sie.
Sie lebte mitten in ihrem ganz eigenen Paradies. Heimelig, abgeschieden – ein echtes Idyll. Dann flog der hübsche kleine Vogel dahin. Wer weiß, wohin ihn seine Wege führen mochten. Hoch hinaus vielleicht. Oder einfach nur bis zum nächsten Baum. Ganz gleich wohin auch immer, morgen würde er wieder hier sein. Die Bachstelze war Dauergast in ihrem Garten. Genau wie der Zaunkönig, der jedes Frühjahr wiederkehrte, als sähe er diesen Flecken Erde als sein Zuhause an. Mit dem kleinen Rest Wasser in der Gießkanne begoss sie ihre Primeln. Obwohl sie sie täglich goss, hingen ihre Köpfe meist schlaff herunter. Der Sommer setzte den Blumen immer ordentlich zu. Aber dafür war sie ja da. „Ja, Mama gibt Euch gleich noch ein Schlückchen“, sagte sie zu ihnen und schmunzelte fröhlich. Hier draußen war es keine große Sache, sich mit seinen Blumen zu unterhalten. Erstens tat dies vermutlich jeder Blumenhalter von Zeit zu Zeit und zweitens war hier niemand, der darüber die Nase rümpfen konnte.
Sie war gerade auf dem Weg zum Schlauchwagen, als sie das Geräusch eines herannahenden Autos vernahm. Wenn man derart einsam lebte, ging es einem wie von selbst in Fleisch und Blut über, zu schauen, wer da kam. Autos kamen für gewöhnlich nur sehr selten hier vorbei. Einmal täglich die Post und häufig auch der Förster. Die restlichen Fahrzeuge wurden in der Regel von Leuten aus dem Ort gefahren, die den Schleichweg entlang fuhren.
Sie hielt Ausschau - und da war ihre prächtige Laune mit einem Mal im Keller.
Das war doch schon wieder diese Frau mit dem Geländewagen. Ja, eindeutig.
So langsam wurde ihr die Sache suspekt. Selbst Reinhard, der eher dazu neigte zu sagen, sie solle „keinen Film davon drehen“, empfand die junge Dame mittlerweile als störend. Seit gut und gerne vier Wochen kam sie hier in schöner Regelmäßigkeit vorbei.
Mal mit und mal ohne Kinder an Bord, doch jedes Mal mit einem Affenzahn, als ob das hier eine Rennbahn war. Anfangs hatten sie sie noch mit einem Kopfnicken gegrüßt, aber das war längst auch vorbei, denn sie guckte (wahrscheinlich bewusst) immer in eine andere Richtung. Das hatte nichts damit zu tun, dass sie sie nicht gesehen hätte. Ihr Haus war das einzige weit und breit und in ihrem Garten war ebenfalls die einzige Bewegung weit und breit – dass sie es also gar nicht bemerkte, dass sie gegrüßt wurde, war keine Ausrede. So ein Verhalten war unhöflich und ging gar nicht. Hier auf dem Land grüßte man einander, das war ein ungeschriebenes Gesetz, und wer sich nicht daran hielt, oder sich stets von allem abgrenzte, war ohnehin schon mal verdächtig.
Verdächtig war auch, dass sie jedes Mal in den Wald fuhr.
Was hatte sie dort vor? Wer war sie überhaupt?
Reinhard hatte neulich beobachtet, dass ein Mann am Steuer saß, sie selbst hatte schon mal einen Mann auf dem Beifahrersitz gesehen. Und eben Kinder. Die hatten sie beide schon gesehen. Einen Jungen im Teenager-Alter und ein kleines Kind, dessen Geschlecht sie nicht ausmachen konnten. Stets bog die Frau in die Einfahrt zum Wald ein, die sich weniger als hundert Meter gegenüber vom Haus befand. Auch jetzt wieder in beachtlichem Tempo. Sie bremste erst im letzten Moment und bog, ohne den Blinker zu setzen, in den Waldweg ab, wo sie eine gigantische Staubwolke hinter sich her zog. Interessiert und ein wenig verstört, verfolgte Elli das Geschehen vom Gartenzaun aus. Die Frau hatte wieder nicht zu ihr hin geschaut, sondern hatte erhobenen Hauptes hinter dem Steuer gesessen.
Was für eine unmögliche Person , dachte sie, während sich der aufgewirbelte Staub nach und nach legte und sich in Wohlgefallen
Weitere Kostenlose Bücher