Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Perdido Street Station 01 - Die Falter

Perdido Street Station 01 - Die Falter

Titel: Perdido Street Station 01 - Die Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
Vorgänge erklärte, wurden ihm potenzielle Fehler bewusst, und er konnte nicht erwarten, sie auszumerzen.
    Isaac und Lin hatten liebevoll voneinander Abschied genommen und sich gegenseitig versprochen, es nicht wieder zu einer so langen Trennung kommen zu lassen.
    Und jetzt wurde Isaac der Zugang zu seinem Arbeitsplatz verwehrt.
    »Lub! David! Was soll der Blödsinn?«, rief er und stemmte sich wieder gegen die Tür.
    Sie öffnete sich scharrend einen schmalen Spalt und ermöglichte ihm den Blick auf einen Streifen des sonnenhellen Erdgeschosses. Er sah ein Stück von dem Gegenstand, der die Tür blockierte.
    Es war eine Hand.
    Isaacs Herz setzte einen Schlag aus.
    »O Jabber!«, hörte er sich brüllen, während er sein ganzes Gewicht gegen die Tür stemmte. Stück für Stück ließ sie sich aufschieben.
    Lublamai lag der Länge nach auf dem Boden ausgestreckt. Als Isaac neben ihm niederkniete, hörte er am anderen Ende der Halle Guteseele schniefen; sie kauerte verängstigt zwischen den Rollenfüßen des Faktotums.
    Isaac drehte Lublamai herum und stellte erleichtert fest, dass er sich warm anfühlte und atmete.
    »Lub, wach auf!«, rief er.
    Lublamais Augen standen offen. Ihr starrer Blick jagte Isaac Angst ein.
    »Lub …?«
    Speichel hatte Bahnen über Lublamais staubige Haut gezogen und sich unter seiner Wange zu einer Pfütze gesammelt. Sein Körper war schlaff wie der einer Gliederpuppe. Isaac legte die Fingerspitzen an seinen Hals, der Puls schlug regelmäßig. Lublamai atmete in tiefen, ruhigen Zügen ein, kurze Pause, aus. Es hörte sich an, als schliefe er.
    Doch Isaac grauste es vor diesem absolut leeren Blick. Er schwenkte die Hand vor Lublamais Augen hin und her – keine Reaktion. Er schlug ihm auf die Wangen, behutsam erst, dann zweimal fest. Ihm kam zu Bewusstsein, dass er mit überschnappender Stimme den Namen des Freundes schrie.
    Lublamais Kopf rollte hin und her wie ein Sack voll Murmeln.
    Isaac ballte die Faust und spürte Feuchtigkeit. Lublamais Haut war von einem klaren, klebrigen Schleim überzogen. Isaac schnüffelte an seinen Fingern und rümpfte die Nase bei dem schwachen Geruch nach Zitrone und Fäulnis. Für einen Moment wurde ihm schwindelig.
    Er betastete Lublamais Gesicht und stellte fest, der ganze Bereich um Mund und Nase war glitschig und klebrig von dem Zeug; was er für Speichel gehalten hatte, war in Wirklichkeit dieses dünne Sekret.
    Keine Rufe, keine Ohrfeigen, keine Bitten vermochten Lublamai aus seinem Stupor zu reißen.
    Als Isaac endlich den Kopf hob und sich umschaute, entdeckte er das zerbrochene Fenster neben Lublamais Schreibtisch. Er sprang auf und lief hin, aber es gab nichts mehr zu sehen, weder drinnen noch draußen.
    Während er unter der Plattform seines eigenen Labors von einer Ecke zur anderen tigerte, der verstörten Guteseele in der Babysprache Trostworte zuflüsterte und nach Spuren von Eindringlingen suchte, kam ihm zu Bewusstsein, dass schon seit einiger Zeit eine furchtbare Vermutung im Hintergrund seiner Gedanken lauerte. Er blieb stehen. Widerstrebend hob er den Blick und starrte in eisigem Entsetzen auf die Unterseite der Dielenbretter.
    Angstvolle Ruhe senkte sich auf ihn wie Schnee. Widerstandslos ließ er geschehen, dass seine Füße ihn Schritt für Schritt zur Treppe hintrugen. Ein Geräusch veranlasste ihn, den Kopf zu wenden; er sah, wie Guteseele sich vorsichtig an Lublamai heranschnüffelte, von neuem Mut erfüllt, nachdem sie nicht mehr allein war.
    Isaac erschien alles ringsum gedämpft und verlangsamt, als bewegte er sich unter Wasser. Stufe um Stufe näherte er sich der Bestätigung seiner schlimmsten Befürchtungen. Ohne Überraschung bemerkte er die Schleimpfützen, die frischen Spuren bekrallter Klauen. Er hörte sein Herz schlagen wie ein Uhrwerk und fragte sich, ob er zu abgestumpft war, um Entsetzen zu empfinden.
    Doch als er oben angekommen den umgekippten Käfig entdeckte, der stabile Maschendraht von innen gesprengt, ein von dünnen, nach außen geschnellten Metallfingern umkränztes Loch; als er den Kokon sah, aufgebrochen, leer, und die zäh heraustropfenden schwarzen Säfte, klang ihm sein eigener Aufschrei in den Ohren, und er hatte das Gefühl, zu Stein zu werden. Grauen wallte in ihm und um ihn wie Tinte in Wasser.
    »O ihr Götter …«, wisperte er mit trockenen, bebenden Lippen. »O Jabber – was habe ich getan …?«
     
    Die Miliz von New Crobuzon zog es vor, im Verborgenen zu wirken. Im Schutz der Nacht kamen sie

Weitere Kostenlose Bücher