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Perdido Street Station 02 - Der Weber

Perdido Street Station 02 - Der Weber

Titel: Perdido Street Station 02 - Der Weber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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verfolgten ihn, als er in den Strom des lauwarmen, fäkaliengesättigten Wassers plumpste und hinter den anderen Überlebenden durch den Tunnel stolperte. Verfolgten ihn, während er durch die hallenden, tropfenden, rieselnden Wassergeräusche stapfte, durch rauschende Güsse, und uralte Kanäle wie verkalkte Adern, weg von dem Glashaus auf einer wirren, kopflosen Flucht in die relative Sicherheit der nächtlichen Megalopole.
    Es dauerte lange, ehe sie verstummten.
    Die Nacht ist unvorstellbar. Wir können nur laufen. Aus unseren Kehlen dringen tierhafte Laute, während wir hasten, um dem zu entkommen, das wir gesehen haben. Schrecken und Abscheu und fremde Emotionen hängen uns an und hemmen unsere Bewegungen. Wir können sie nicht abschütteln.
     
    Wir kämpfen uns auf unserem Leidensweg hinauf und hinaus aus der Unterwelt und erreichen den Schuppen neben den Gleisen. Wir frösteln selbst in der drückenden Hitze, nicken stumm zu dem Rattern der Züge, die unsere Wände erschüttern. Wir beobachten einander wachsam.
    Ausgenommen Isaac, der ins Leere starrt.
    Schlafe ich? Schläft einer der anderen? Es gibt Momente, wenn die Benommenheit mich überwältigt und meinen Kopf vernebelt, sodass ich nicht sehen noch denken kann. Vielleicht sind diese Fugen, diese vereinzelten Zombiephasen, Schlaf zu nennen. Schlaf in der neuen Stadt. Vielleicht ist das alles, worauf wir künftig hoffen können.
    Keiner spricht, für lange, lange Zeit.
     
    Pengefinchess, die Vodyanoi, bricht als Erste das Schweigen.
    Sie erzählt, halblaut, murmelnd, wie im Selbstgespräch, aber ihre Worte sind an uns gerichtet. Sie sitzt auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt, die feisten Schenkel gespreizt. Die hirnlose Undine windet sich um ihren Körper, wäscht ihre Kleidung, spendet Feuchtigkeit.
    Pengefinchess erzählt uns von Shadrach und Tansell. Die drei trafen sich im Rahmen einer kleinen, Randbemerkung bleibenden Episode, auf welche sie nicht näher eingeht, irgendeine Söldnereskapade in Tesh, Stadt der Kriechenden Flüssigkeit. Sieben Jahre waren sie zusammen unterwegs gewesen.
    Das zerbrochene Fenster unserer Hütte ist innen gesäumt mit Scherben. In der Morgendämmerung stibitzen sie sich ihren Anteil vom Glanz des neuen Tages. Unter einem scharfen Strahl fliegendreckgefilterten Sonnenlichts berichtet Pengefinchess in monotonem Singsang von ihrer Zeit mit den nun toten Gefährten: Wilderei im Wormseye Scrub, Diebstahl in Neovadau, Grabräuberei in den Ebenen und Steppen von Ragamoll.
    Sie waren nie eine gleichberechtigte Dreieinigkeit gewesen, sagt sie, ohne Groll oder Bitterkeit. Immer sie, dann Tansell und Shadrach zusammen, die einer im anderen etwas fanden, eine stille, leidenschaftliche Verschworenheit, an die sie nicht rühren konnte und nicht wollte.
    Tansell war am Ende nicht bei Sinnen, sagt sie, nicht fähig zu denken, aufgewühlt, ein impulsiver Ausbruch thaumaturgischen Grams. Doch wäre er bei klarem Verstand gewesen, fügt sie hinzu, hätte er nicht anders gehandelt.
    Also ist sie wieder allein.
     
    Ihr Zeugnis endet. Es verlangt nach Antwort, wie bei einer rituellen Liturgie.
    Sie ignoriert Isaac, versunken in seinem Schmerz. Sie schaut Derkhan an und dann mich.
    Wir enttäuschen sie.
    Derkhan schüttelt den Kopf wortlos und traurig.
    Ich versuche es. Ich fühle, wie sie in meiner Kehle emporsteigt, hinauswill, die Geschichte meiner Untat und meiner Bestrafung und meines Exils. Beinahe bricht sie sich Bahn, dringt durch den Riss.
    Aber ich dränge sie zurück. Sie gehört nicht hierher. Sie ist nicht für heute Nacht.
    Pengefinchess’ Geschichte handelt von Selbstsucht und Raub, und doch wird sie über dem Erzählen zu einem Valedikt für tote Kameraden. Meine Chronik von Selbstsucht und Verbannung widersetzt sich der Umdeutung. Sie kann nur eine banale Geschichte von banalen Dingen sein. Ich schweige.
     
    Aber dann, als wir bereit sind, auf Worte zu verzichten, den Dingen ihren Lauf zu lassen, hebt Isaac den auf die Brust gesunkenen Kopf und spricht.
    Erst verlangt er Essen und Wasser, das wir nicht haben. Langsam werden seine Augen schmal und er redet wie ein vernunftbegabtes Wesen. Mit abwesender Erschütterung beschreibt er die Tode, deren Zeuge er war.
    Er spricht von dem Weber, dem tanzenden, wahnsinnigen Gott, und seinem Kampf mit den Faltern, von den Eiern, die verbrannten, dem seltsamen Singsang unseres ungewöhnlichen und unzuverlässigen Verbündeten. In kalten und deutlichen Worten erklärt Isaac

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