Perfekte Manner gibt es nicht
einen Abschiedskuss. Frauen wie Vicky küssten alle Leute zum Abschied. Auch Lou hätte einen Kuss bekommen, wäre sie nicht rechtzeitig weggelaufen. Tatsächlich, stellte Jack fest, der Tag kann noch schlimmer werden.
Und im selben Moment erklärte Vicky im Bühnenflüsterton, den man wahrscheinlich im ganzen Flughafengebäude
hörte: »Hättest du mich nicht verlassen, wäre das alles nie passiert.«
Nun, was hatte er erwartet? Vicky war nicht der Typ, der den Mund hielt. Wenn sie was zu sagen hatte, bei Gott, dann sagte sie es. Angst vor Nähe. Die hatte sie ihm vorgeworfen. Deshalb würde er nicht so viel für sie empfinden wie sie für ihn. Angst vor Nähe. Vor allem würde er sein Herz schützen und es niemals öffnen, damit es nicht verletzt werden konnte.
Ja, genau. Weil er sein Herz nicht mit jedem Autogramm verschenkte, so wie Vicky …
Trotzdem war ihre unverblümte Art einer ihrer liebenswertesten Wesenszüge und hätte ihn fast dazu veranlasst, ihre Extravaganzen zu ertragen – den kurzen Flirt mit der Kabbala-Lehre, die makrobiotische Diät, das streunende Lama.
Fast. Aber letzten Endes eben doch nicht. Weil er sein Herz natürlich schützen musste.
Es war nicht sein Herz, das er schützte, als er einige Minuten später auf das bitterkalte Rollfeld trat und der Wind eisige Finger in sein Gesicht bohrte. Den Ledermantel enger um die Schultern gezogen, rannte er zum Flugzeug – und blieb abrupt stehen. Das war nicht die Turbo-Prop-Maschine, die er erwartet hatte, der Achtsitzer, mit dem der Regisseur und andere Crew-Mitglieder hin und her flogen. Nämlich all die Leute, die zu wichtig waren, um ein primitives Hotel in Myra zu ertragen. Nein, das war ein Hubschrauber.
Und nicht einmal ein besonders großer.
Lou saß bereits auf dem Rücksitz, mit Kopfhörern auf den Ohren. Ihrer Miene glaubte er zu entnehmen, dass ihre Begeisterung für diese vorsintflutliche Kiste
seiner eigenen glich. Oder vielleicht tat sie nur so genervt, weil sie zusammen mit ihm fliegen musste.
»Was ist mit der Cessna passiert?«, fragte er den Piloten.
Um den heulenden Winterwind und das Rauschen der langsam kreisenden Rotoren zu übertönen, musste er die Stimme erheben.
»Äh … die Cessna Caravan ist nicht … ähm … verfügbar, Sir«, schrie der Pilot. »Also müssen wir mit dem Hubschrauber fliegen. Was anderes haben wir nicht.«
Jack runzelte die Stirn. Wenn er auch keine Angst vorm Fliegen hatte – er bevorzugte Maschinen, die mehr als vier Leuten Platz und einen gewissen Komfort boten. »Gibt es nichts Größeres?«
»Äh …« Jack fand, dass der Pilot viel zu nervös wirkte für einen Mann, dem er sein Leben anvertrauen sollte. »Dieser R-44 ist brandneu. Und … äh … völlig sicher. Wirklich, Mr. Townsend.«
Lou starrte Jack an. »Rein oder raus, Flieger!«, stieß sie mit ihrer heiseren Stimme hervor. »Da draußen ist es saukalt.«
Was war nur los mit dieser Frau? Er biss sich auf die Lippen. Klar, sie nahm ihm den Satz »Ich brauche eine größere Waffe« immer noch übel. Das hatte er nun verstanden. Schließlich hatte sie oft genug ihren Zorn mit den unzähligen Demütigungen bekundet, die Pete Logan erleiden musste.
Mein Gott, seither waren Jahre verstrichen! Gewiss, rothaarige Frauen besaßen ein besonders wildes Temperament. Aber Lou führte sich einfach lächerlich auf. Wie lange würde sie ihm denn noch grollen?
Dann fiel ihm – reichlich spät – ihre Freundschaft mit Vicky wieder ein. Hatten die beiden auf der Fahrt vom Hotel zum Flughafen ihre Exfreunde seziert? Ohne jeden Zweifel. Großartig. Nun musste er nicht nur die Wut einer beleidigten Künstlerin verkraften, sondern auch noch die Empörung einer loyalen Frau, die sich einbildete, er hätte ihre Freundin schändlich behandelt.
Andererseits – angesichts der Ereignisse des vergangenen Abends saß er jetzt im selben Boot wie Lou. Daher könnte sie ihm wirklich etwas nachsichtiger begegnen. Und wenn man es recht bedachte, war das alles ohnehin ihre Schuld. Hätte sie das blöde Zeppelin-Drehbuch nicht geschrieben, wären sich Greta und dieser idiotische di Blase niemals über den Weg gelaufen.
Und außerdem war er viel schlimmer dran als Lou. Oder hatte sie etwa Melanie Dupre letzte Nacht im Hotelzimmer daran hindern müssen, ihre Wut an einem unschuldigen Sofa auszulassen?
Klar, Lou hatte ihren Freund verloren. Aber ihr Hotelzimmer war nicht von einer halb verrückten Schauspielerin in Brand gesteckt worden,
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