Perfekte Manner gibt es nicht
denn«, fügte er boshaft hinzu, »der Wein würde dich genauso umhauen wie gestern der Scotch.«
Warum musste er das erwähnen? Hastig schloss er die Tür, um ihrem vernichtenden Blick zu entgehen.
Allein im Wohnzimmer, legte sie das Handtuch auf einen der Stühle, die den großen Esstisch bei der offenen Küche umgaben. Die Hütte bestand eigentlich nur aus diesem einen großen Raum und dem angrenzenden Schlafzimmer – in der modernen Architektur würde man dazu wohl »offenes Wohnkonzept« sagen. Aber der Besitzer dieser Hütte würde das wohl kaum so bezeichnen. Die Möbel waren gemütlich und rustikal, jedoch völlig altmodisch. Zumindest gab es in der Küche alle nötigen modernen Geräte, ein Telefon aber leider nicht.
Doch Lou nahm sich vor, das Beste aus der Situation zu machen. Hier fror sie wenigstens nicht, und sie war vorerst in Sicherheit. Draußen braute sich ein neuer Blizzard zusammen. Sie hörte den Wind heulen – zumindest hoffte sie, es wäre der Wind -, und durch das Fenster sah sie die Schneeflocken vor dem schwarzen Himmel tanzen. Bald würde sie ihren Hunger stillen, falls Jack tatsächlich kochen konnte. Was konnte sie sich mehr wünschen?
Nun ja, sie hätte gerne etwas mehr Stolz bewahrt …
Lou fürchtete, bei der unsäglichen Szene draußen im Schnee ihren Stolz verloren zu haben. Sie hatte diesen Mann so hemmungslos geküsst – wie ein Groupie.
Also wirklich … Kein Wunder, dass er darüber reden wollte! Wahrscheinlich würde er sie an die gescheiterten Beziehungen erinnern, die sie beide verkraften mussten. Und dann würde er betonen, im Augenblick wäre es »vernünftig«, nichts zu überstürzen. Als würde sie eine Liaison mit Jack Townsend auch nur für eine Sekunde in Erwägung ziehen! Mit Mr. Ich-binnoch-nicht-für-was-Dauerhaftes-bereit! Niemals.
Und nie wieder ein Schauspieler. Nein danke. Sollte sie sich noch mal mit einem Mann einlassen, dann nur mit jemandem, der einen normalen Beruf ausübte. Zum Beispiel mit einem Polizeibeamten oder einem Unternehmensberater.
Die Mikrowelle klingelte, und Lou öffnete die kleine Tür.
Vorsichtig betastete sie die Steaks, die nun nicht mehr gefroren waren, nahm sie heraus und bestrich sie mit Olivenöl, so wie Jack es ihr aufgetragen hatte. Dann legte sie die Fleischscheiben in die Bratpfanne und zündete die Gasflamme darunter an. Während sie beobachtete, wie das Öl zu brutzeln begann, lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
Und dann entdeckte sie die Weinflasche. Barry hatte sich – mühsam und kostspielig – zum Weinkenner entwickelt und versucht, Lou mit Hinweisen auf die Unterschiede zwischen einem Merlot und einem Montepulciano zu beeindrucken. Doch sie hatte nie darauf geachtet. Sie fand es wichtiger, den Helden und die Heldin eines Drehbuchs mit überzeugenden Dialogen einander näherzubringen. War Greta eine Weinkennerin? Gehörte das zu den gemeinsamen Interessen, die sie mit Barry verband?
Sie inspizierte den Kühlschrank – er war fast leer. Auch in der Speisekammer fand sie nichts, was sie essen konnte, bis die Steaks fertig waren, und so schenkte sie sich ein Glas Wein ein. Nur eines, beschloss sie. Das würde ihr nicht schaden. Außerdem vertrug sie Wein und Bier sehr gut. Nur vor Hochprozentigem musste sie sich hüten.
Mit dem Glas in der Hand setzte sie sich auf einen Hocker an der Theke und beobachtete die Steaks. Hätte ihr irgendwer erzählt – zum Beispiel Vicky -, dass sie eines Abends in geliehenen Kleidern, mit nassem Haar und ohne Make-up Wildfleischscheiben braten würde, während Jack Townsend nebenan duschte, wäre sie in ungläubiges Hohngelächter ausgebrochen. Solche Geschichten gab es einfach nicht. Zumindest nicht in ihrem Leben. Nur im Leben anderer Leute. Und Lou schrieb dann darüber. Seit sie denken konnte, hatte sie praktisch nichts anderes getan – Szenen aus dem Leben anderer Menschen aufgeschrieben und manchmal auch etwas dazugedichtet. Über ihr eigenes Leben zu berichten, das hatte sich nie gelohnt.
Bisher nicht.
Und nun war Lou Calabreses Leben plötzlich furchtbar kompliziert geworden.
Der Wein schmeckte süffig und schwer. Sie verstand gerade genug von Wein, um das zu merken. In ihrem Mund fühlte er sich köstlich an, sehr intensiv auf der Zunge. Warm war ihr ja sowieso schon von der Dusche – und auch von der Art, wie Jack sie angeschaut hatte. Was mochte er wohl dabei gedacht haben?
Nach ein paar Schlucken Wein auf leeren Magen wurde ihr noch wärmer.
Das Rauschen
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