Perlentöchter
wenn wir schon einmal hier sind, kann ich es dir auch genauso gut sagen. Ich werde in ein paar Wochen wieder heiraten.«
Vor Schreck begann sie zu stammeln. »Wie schön für dich! Ich hoffe, du wirst sehr glücklich.«
Er wirkte verlegen. »Sie ist Krankenschwester, wie du. Wie du früher. Sie ist ein feiner Mensch.«
Darin lag die unfaire Andeutung, dass Helen kein feiner Mensch war, und das tat weh.
»Was ist mit dir?« Er sah sie sonderbar an. »Hast du auch jemanden?«
»Ja, habe ich. Ich treffe ihn gleich. Muss mich beeilen. War nett, dich zu sehen. Bis dann.«
41
»Du wirst wieder jemanden kennenlernen«, hatte einer ihrer Brüder gesagt, »wenn du es am wenigsten erwartest.« Wie wahr. Tatsächlich hatte Helen diesen Mann bereits kennengelernt, aber ihn nicht als den Richtigen erkannt, genauso wenig wie er sie.
Peter war Lehrer an einer ihrer Schulen – einem Jungengymnasium, an dem er Mathematik unterrichtete und sie als Schulpsychologin eingesetzt war, zum Teil verantwortlich für sogenannte Schulverweigerer oder, mit anderen Worten, Kinder, die den Unterricht schwänzten.
Nun, nachdem Grace ihren höheren Schulabschluss geschafft hatte und Wirtschaftslehre an einer technischen Hochschule studierte, kam Helen sich nicht mehr so scheinheilig vor, wenn sie andere Kinder zu motivieren versuchte, am Unterricht teilzunehmen. Ihre Methoden waren unorthodox, zumindest sagten das ihre Kollegen. Natürlich führte sie Gespräche mit dem betroffenen Kind und auch mit den Eltern, aber sie organisierte außerdem gemeinsame Ausflüge mit Lehrern und Mitschülern – Spaßtouren wie zum Beispiel eine Bootsfahrt auf dem Serpentine im Hyde Park –, um ihren Schützlingen verstehen zu helfen, dass sie mit den anderen Kindern Freundschaft schließen konnten und dass die Schule auch Spaß machen konnte. Später dann, nach ihrer Rückkehr, ließ sie die Kinder von dem Ausflug Bilder malen.
Peter gehörte zu den Lehrern, die solche Methoden ablehnten. »Sie sollten denen lieber die Ohren lang ziehen, statt ihnen gut zuzureden«, herrschte er sie eines Morgens an, als er sie sich im Lehrerzimmer vorknöpfte.
Helen hielt dem Blick dieses großen, untersetzten Mannes mit der Adlernase und dem West-Country-Akzent stand, der offenbar stärker durchdrang, wenn Peter verärgert war, und bat ihn, sich einen Moment zu setzen. Dann erklärte sie ihm ruhig, dass sie die Schule früher auch gehasst habe und dass es für manche dieser Kinder schwer sei, vor allem für jene, die ohne Mutter aufwachsen mussten, womit sie sich ein wenig auskannte.
Und dann schlug sie ihm vor, beim nächsten Ausflug mitzukommen, der in den Whipsnade Zoo führte.
Erst dort lernte sie, genau wie die Kinder, eine andere Seite von Peter kennen. Er konnte sogar richtig lachen, als sie vor dem Affengehege standen und eins der Jungtiere sich direkt vor sie hinhockte und etwas Unaussprechliches tat. Als Peter sie dann fragte, ob sie am Freitag zu dem geselligen Abend in der Schule kommen würde, stellte sie fest, dass sie Ja sagte, obwohl sie sich eigentlich darauf gefreut hatte, es sich mit einem Glas Wein vor dem Fernseher gemütlich zu machen und sich einen Fernsehfilm auf BBC anzusehen.
Peter hatte erst vor kurzem seine Frau verloren, oder zumindest hatte sie das erzählt bekommen. Es war bestimmt nicht leicht für ihn.
»Meine Frau litt an MS «, vertraute er ihr während des bescheidenen Abendessens an, das der Sozialausschuss organisiert hatte und das aus einer unappetitlichen Anordnung aus lauwarmen Chipolatas und Pommes frites bestand. »Die arme Valery war schon seit Jahren krank. Ich habe getan, was ich konnte, aber es war schwer.«
Seine Augen wurden feucht, und Helen hatte sofort das Bedürfnis, ihn zu trösten. Tatsächlich hatte sie gehört, dass Peter sogar weitaus mehr getan hatte als das, was er konnte. Seit dem Ausflug in den Zoo hatte Helen sich diskret über diesen schroffen Witwer erkundigt, der, so vermutete sie, innerlich ganz weich war. »Er hat seine Frau Tag und Nacht gepflegt«, erzählte ihr jemand aus dem Kollegium. »Es gab nichts, was er nicht für sie getan hätte. Es war ein furchtbarer Schock für ihn, als sie starb.«
Ein Schock? »Wenn man jemanden so lange pflegt, erwartet man, dass das ewig so weitergeht.«
Das konnte Helen nachvollziehen. Peter hatte einen Sohn – er war sein einziges Kind und ungefähr in Carolines Alter, darum hatte Peter sicher Erfahrung mit erwachsenen Kindern. An jenem Abend stellten sie
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