Persephones Erbe (German Edition)
einmal das erste Drittel des Alphabets.
Mich fror.
Die Rohre führten ab hier alle in die Tiefe. Ich bewegte mich von Notlicht zu Notlicht, immer nervös auf Stimmen lauschend. Sie blieben jetzt immer gleich, ein stetiges Raunen. Ich gewann nichts, wohin ich mich auch wandte. Das einzige, das mir auffiel: Kein einziges der vielen Rohre bog nach oben durch die Gewölbedecke ab. Ich wusste nicht, ob mir das weiterhalf, doch ich probierte es als nächstes mit der Treppe, die vor mir nach unten führte. Sehr steile Stufen, sicherlich antik.
Es konnte kaum noch schlimmer kommen. Ich hoffte, dass es im nächsttieferen Stockwerk des Hotel-Souterrains vielleicht eine Verbindung zurück nach ganz oben gab. Mir reichte ja schon ein anderes Treppenhaus. Egal, wo ich dann herauskam. Und wenn ich im Saunatuch auf der Straße stand.
Ein kühler Luftzug wehte mich an. Es roch hier noch deutlicher nach Alter. Süßlich, wie nach Weihrauch und Gräbern. Was, wenn auch unter dem Tenebre Katakomben lagen? Santa Pudenziana war nur über die Straße. Aus einem der Schächte vor mir stöhnte es.
Aber nach einer Schrecksekunde erkannte ich das Stöhnen als Luftzug. Jemand oder etwas hatte irgendwo in den vielen Gängen hier eine Tür geöffnet oder geschlossen. Vielleicht war auch ein Aufzug in Gang gesetzt worden. Wie auch immer, es war eindeutig ein natürliches Geräusch, kein Geist.
Vielleicht suchte mich endlich jemand. Es wurde Zeit. Meine Hände und Füße waren eiskalt. Mir spukte irgend etwas durch den Kopf, dass natürliche Höhlen ganzjährig eine konstante Raumtemperatur beibehielten, etwa um die zehn Grad. Aber man konnte auch dabei schon erfrieren. Gesetzt den Fall, die verirrte Person trug nur ein dünnes Saunatuch. Ich war vollkommen ratlos, was ich nun tun sollte. Gewölbe über Gewölbe öffnete sich vor mir, in verwirrender Vielzahl. Dieses neue Stockwerk unter der Erde bot nur den einzigen Vorteil, dass die Generatoren nicht mehr gar so in meinen Ohren dröhnten.
Ich versuchte eine neue Abzweigung und landete vor einer Brüstung, hinter der sich nur Finsternis auftat. Ich spürte vor mir eine große Weite, gewaltige Kavernen, auch wenn ich nur schemenhaft die nächsten Gewölbe und Gänge unter mir wahrnahm. Wie tief sie waren, was darin verborgen lag, ich konnte es mir nicht einmal ansatzweise vorstellen. Ich wollte es auch nicht. Es war eine Totenstadt.
Dort unter mir ruhten Viele. Ich stand vor einem uralten Friedhof und die Toten schliefen unruhig. Sie spürten mich, hörten meinen Pulsschlag, rochen mein Blut. Stimmen wisperten.
WER BIST DU?
Ich floh mit einem Aufschrei. Und prallte zurück. Vor mir stand der Hausmeister. Finster wie ein Fels, kalten Zorn im Gesicht. Er spielte mit der Goldmünze.
»Was suchst du hier?«
»Ich … nichts!«
Ich betrachtete die Goldmünze wie hypnotisiert. Es war eine Golddrachme, ein antikes Stück. Die Alten hatten den Toten solche Münzen in den Mund gelegt, als Weggeld für den Fährmann. Charon, der sie über den Styx ruderte. Styx, der Fluss ohne Wiederkehr.
Ich war noch immer völlig außer Atem. Aber was ging es den Hausmeister an, wie ich hierher geraten war – dass es nicht freiwillig war, konnte er sich doch denken! Oder glaubte er, ich wollte hier spionieren?
Was machte er überhaupt hier? Mir kam der schreckliche Verdacht, dass er hier unten Gräber plünderte. Möglich war es. Er hielt Totengold in der Hand. Und er roch nach Weihrauch.
Oder hatte er im Gegenteil vor, hier jemanden zu begraben? Gehörte die Goldmünze in dessen Mund? Meinen?
In mir wuchs die schreckliche Gewissheit, hier nie mehr herauszukommen. Lebendig sowieso nicht, wahrscheinlich nicht einmal tot.
Der Hausmeister verschränkte die Arme. »Nun?«
»Ich habe mich verlaufen.«
»Du lügst.«
Wenn er mit seiner Tochter oder Freundin auch so barsch umging, wunderte ich mich nicht, dass sie ihn verlassen hatte. Andererseits, mal angenommen, es bestand überhaupt eine Chance, konnte nur er mir aus diesem Labyrinth heraushelfen.
»Ich bin vor Armin und Malchow geflüchtet. Aus der Sauna.« Ich schluckte. »Sie wollten mich. Äh, beide.«
Er runzelte die Stirn. »Und was wäre schlimm daran gewesen?«
Seine sonore Stimme hallte. Die Weite der Katakomben gab ihr ein traumhaftes Volumen. Ich lauschte wie gebannt und nicht nur ich. Auch die Toten. Ich spürte ihr Schweigen.
»Du kannst einem Mann nicht deinen Honigtopf zeigen und dich dann beschweren, wenn er ihn haben will.«
»Ich
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