Pesch, Helmut W.
Alte nichts wissen sollte.
»Ja, er hat dich verraten«, meinte Alberich, denn er hatte gespürt, warum Hagen sich unterbrochen hatte. »Gut denn, Ase. Bring mir den Helden – und Brisingamen. Dann werden wir vielleicht die alte Macht der Götter wieder errichten!«
Odin zögerte. Hagen ahnte, in welchem Dilemma der Einäugige steckte: Er konnte Siggi nicht so einfach zum König der Swart-alfar bringen; denn er hatte dem Jungen erzählt, dass man die Schwarzalben meiden sollte und dass Siggi bei den Lios-alfar in Sicherheit sei.
Höre, junger Hagen, klang eine Stimme in ihm auf, und jetzt wusste Hagen, dass es nicht die seine war. Ihm wurde klar, dass diese Stimme schon eine ganze Weile da gewesen war und ihm geholfen hatte, seine Bestimmung zu finden. Die Stimme war dunkel und ge-winnend, fand aus den Gedanken den Weg in Hagens Herz und war dort willkommen.
Was?, fragte Hagen in Gedanken zurück.
Deine Rache wird vollendet, wenn du Odin hilfst. Der Einäugige kann nur mit deiner Hilfe Jung-Siegfried hierherlocken, um den Speer neu zu schmieden, erklärte die Stimme.
Wie denn?, fragte Hagen, und er horchte verzweifelt, ob er eine Antwort bekäme; denn der Wunsch nach Rache brannte heißer denn je in seinem Herzen.
Höre mir nur zu …, meinte die Stimme.
Ja!, rief Siggi in Gedanken. Ja!
Siegfried vertraut dir und wird versuchen, dir zu helfen; das musst du nutzen. Habt ihr ihn erst, dann kannst du deine Rache in vollen Zügen aus-kosten, erklärte die Stimme, und sie klang so einleuchtend, so vernünftig, dass Hagen erkannte, wie gut sie es mit ihm meinte. Und wenn du deine Rache ausgekostet hast und Alberichs Heere die bleiche Brut Asgards vernichtet haben, wirst du an seiner Seite über die Anderswelt herrschen, und alle werden sich in deinem Glanz sonnen. Du wirst es sein, der das Leben für die Swart-alfar lebenswert macht. Du und du al ein, wenn du Siegfried in die Hände Odins und Alberichs bringst.
Und wenn er von selbst draufkommt?, fragte Hagen in Gedanken.
Keine Sorge, entgegnete die Stimme. Daran wird er nicht denken; denn er kann nicht in dein Herz sehen …
Hagen frohlockte innerlich. Er konnte seinem neuen Vater zur Seite stehen und würde dabei gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Und die Krönung würde die Rache an Siggi sein.
Er öffnete den Mund – Warte, Hagen! Lass die Verzweiflung in Einauge wachsen, gib ihm noch einen Moment Zeit zu erkennen, dass er sich durch sein Handeln selbst um seine Träume, Wünsche und Hoffnungen zu bringen droht, wurde ihm geraten. Beherrsche dich noch ein wenig; nur noch ein paar Herzschläge lang …
Hagen sah den Alten an. Unter der ledrigen Haut über der leeren Augenhöhle zuckte es, der Blick seines Auges wurde unstet, und auf seiner Miene begann sich die Erkenntnis abzuzeichnen, dass er offensichtlich wieder einmal selbst seinen Plänen im Wege gestanden hatte, wie so oft in der Vergangenheit. Er hätte die Möglichkeit gehabt, Siggi zu den Swart-alfar zu bringen. Aber in der augenblick-lichen Lage, wo die Fronten sich so verhärtet hatten, war das so gut wie aussichtslos.
»Nun, Graumantel, was ist?«, fragte Alberich, der zu merken schien, dass er Salz in eine offene Wunde streute. »Warum gehst du nicht und holst mir den Helden? Dann können wir in die Tiefen meines Reiches hinabsteigen und den Speer in den Muspelfeuern schmieden.«
Odin wand sich unter den Worten des Albenkönigs. Hagen war sich bewusst, wie verzweifelt der Gott nach einem Ausweg suchte.
Es musste für den Alten die reinste Folter sein. Äonenlang hatte er sich nach einer Möglichkeit gesehnt, das wiederzugewinnen, was verloren war. Nun war es zum Greifen nahe, aber doch so unendlich weit entfernt.
Warte noch …, echote es in Hagen, der es kaum noch abwarten konnte, seinen Trumpf auszuspielen.
»Odin, ich warte …«, erinnerte Alberich den Asen daran, dass dieser ihm noch eine Antwort schuldig war.
»Gib mir ein paar deiner Krieger«, meinte Odin, und die Verzweiflung in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Dann …«
»Was zahlst du dafür?«, fragte Alberich.
»Ich …«, begann Odin. »Ich teile die Macht mit dir.«
»Nein, Einauge«, lächelte der Herr der Swart-alfar. »Du weißt zu gut, selbst wenn du deine Macht zurückerlangst, wirst du nicht die Herrschaft über mein Volk erhalten. Und mich gelüstet es nicht nach mehr.«
»Ich kann dir nichts bieten«, resignierte Odin.
»Brisingamen für den Speer, das ist ein wohlfeiler Preis. Aber
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