Pesthauch - Band 1 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
stabilisiert hatten, damit der schwere Klotz nicht hin- und herrutschen konnte, sonst hätte er womöglich noch etwas zerschlagen mit seinem hohen Gewicht.
Wimmer legte die Seile ordentlich zusammen und hängte sie an die dafür vorgesehenen Haken in der Kutsche. Er stand gebeugt über dem Golem, denn der Kasten war nur fünf Fuß hoch, und betrachtete die Gestalt des Golem.
Ein roher Klotz, wahrlich! Die bildhauerischen Fähigkeiten seines Schöpfers können nicht sehr groß gewesen sein , dachte Wimmer, selbst die Hände und Füße sind plump.
Der Golem hatte nur zwei Finger und einen Daumen an den Händen und nur drei Zehen von gleicher Größe an den Füßen. Das Gesicht, wenn man es denn so nennen wollte, hatte keine Nase, denn der Golem atmete nicht. Es hatte einen winzigen Mund und zwei winzige Punkte, dort, wo die Augen sein sollten. Statt Ohren waren da zwei kleine Öffnungen mit einem leichten Wulst darum herum. Der Schädel war kantig und eckig und ging ohne Hals in den Körper über. Wimmer beugte sich vor. War da nicht eben ein Glitzern gewesen? Ein leichtes Leuchten?
Der Golem schlug die Augen auf und Wimmer starrte in zwei schwarze Kohlen, in denen ein eiskaltes Feuer glomm. Erschrocken sprang er zurück, stürzte aus dem Kastenwagen und landete unsanft auf dem Rücken.
Das Geräusch, das der Golem erzeugte, wenn er sich bewegte, erinnerte an das Stöhnen des Berges, das die Bergleute oft unter Tage vernehmen können, ein tiefes Ächzen und Stöhnen, ein Reiben und Brechen, wie Steine es erzeugen, wenn sie übereinander gleiten.
Langsam und steif schob sich der schwere Körper des Golem aus dem Kasten heraus, setzte die groben Füße auf den Boden und richtete sich auf. Knirschend drehte sich der Kopf und Wimmer fühlte, wie der Blick des unnatürlichen Wesens sich auf ihn richtete. Und dann hatte Wimmer einen Augenblick lang den Eindruck, als nicke ihm das Monstrum ein ganz klein wenig zu.
Ruckartig richtete sich das Wesen auf, und mit eckigen Bewegungen und seltsam steifen Schritten bewegte es sich aus dem Stall hinaus auf die Straße.
„Verdammt“, knurrte Wimmer und erhob sich. „Hat der Verrückte das Mittel also schon genommen!“ Er klopfte sich den Staub von den Sachen und folgte dann dem Golem. Zur Eile gab es keinen Anlass, denn Schnelligkeit gehörte nicht zu des Golem Vorzügen.
Rebekka war wieder in ihre Frauensachen geschlüpft, mit denen sie dem Sekretär Lady de Villes gefolgt war, und hatte sich aufgemacht, den Boten mit der Bestellung für Lady de Villes Haushalt abzufangen.
Der Bote war nicht schwer zu erkennen gewesen. Wie üblich hatte er die Last auf einer groben, einrädrigen Schubkarre verstaut. Als Rebekka vor dem Laden ankam, war er eben damit beschäftigt, die letzte Kiste festzuzurren. Die Besitzerin, die Rebekka ja kannte, grüßte sie freundlich, und so war es keine Schwierigkeit gewesen, mit dem Mann ins Gespräch zu kommen. Nach ein paar Straßenkreuzungen, die Rebekka den Mann begleitete, kannte sie seine halbe Lebensgeschichte, von der schweren Geburt der Tochter bis hin zu seiner Gicht.
Es war, wie der Vampir gesagt hatte. Der Mann hatte in seinem ganzen Leben noch nicht so viel Geld auf einem Haufen gesehen. Die sieben Guineen, die Rebekka ihm gab, waren mehr, als er mit ehrlicher Arbeit in zwanzig Jahren hätte verdienen können. Bereitwillig überließ er Rebekka den Karren mit der Last und machte sich davon, bevor die Dame es sich vielleicht doch anders überlegte.
Noch am selben Abend verließ er London mit seiner Familie in Richtung Norden. Es hieß, er habe in Glasgow sein Glück gemacht mit Fässern, die er nach Schottland verkaufte.
Der Kerl hatte Rebekka zwar angeboten, den Karren hinzuschieben, wo sie wollte, doch sie hatte es für besser erachtet, wenn er ihren Wohnsitz nicht kannte. Es war ein gutes Stück Arbeit für die junge Frau gewesen, die Schiebkarre zu der Wohnung des Vampirs zu bugsieren und dann noch die Stufen hinauf, durchs Hinterhaus bis in die Wohnung, wo der Vampir noch immer leblos mit geschlossenen Augen dalag, so, wie sie ihn verlassen hatte.
Rebekka schnürte die Ladung auf und schüttete die Leckereien, die in dem großen Korb verpackt waren, achtlos auf den Boden vor dem Kamin. Dann zog sie den Korb zum Sofa und wuchtete den Körper George Drakes in das Behältnis. Sie konnte nicht anders, als sie den Mann in den Armen hielt und vom Sofa zog: Sie schloss ihre Augen und gab ihm einen langen, innigen Kuss. Wenn sie das
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