Pesthauch - Band 1 der Blutdrachen Trilogie (German Edition)
sich selbst, und sie wusste sofort, dass das ein Vorwand war, um den Preis hochzutreiben. Hubert Ninefingers hatte noch nie eine Wache bestochen, war es doch viel einfacher, die Wache zu erstechen. Ein Toter quatscht nicht! Das pflegte er oft genug zu sagen, und daran hatte er sich gehalten, seit sie ihn kannte.
Melissa de Ville überlegte einen Moment lang, ob sie ihm diese Frechheit durchgehen lassen sollte. Sie wollte diese Kiste so schnell wie möglich in Händen halten, aber rechtfertigte dies das Tolerieren solcher Treulosigkeit? Schließlich hatte sie schon einen guten Preis offeriert und dieser Nimmersatt gierte nach mehr! Nein, sie musste ein Zeichen setzen!
Ihr Sekretär und Leibdiener brachte ihr das Schreibzeug und sie hielt schon die Feder in der Hand, doch dann legte sie sie wieder beiseite und schickte den Helfer fort. Sie hatte nach einem anderen ihrer Gehilfen schicken wollen, einem, der solche Dinge zu regeln wusste, aber dann hatte sie sich doch anders besonnen.
Sie würde das selbst regeln! Es würde gut tun, etwas Bewegung zu haben. Dazu kam, dass sie fühlte, wie der Drache unruhig wurde. Aber er durfte noch nicht erwachen, nicht, bevor sie nicht im Besitz des Mittels war, das ihr die Macht über den erwachten Drachen sichern würde! Um das zu verhindern, musste sie Blut trinken und den Drachen damit ruhigstellen.
Das war doch die perfekte Gelegenheit, das Nützliche mit dem Praktischen zu verbinden, und ein wenig Lustgewinn würde auch dabei sein.
Melissa de Ville begann, sich zu entkleiden. Achtlos ließ sie die teure Kleidung auf den Teppich fallen. Für das, was sie vorhatte, benötigte sie etwas weniger Umfangreiches und Auffälliges, als es ein Seidenkleid mit Reifrock war.
Sie stand nackt vor dem Spiegel, der in die Wand eingelassen war, mit prallen Brüsten und dem Körper einer Göttin. Eine Berührung am Rand ließ den Spiegel beiseite schwingen und gab den dahinterliegenden Schrank frei. Lady de Ville nahm die Lederkleidung heraus und legte sie mit langsamen Bewegungen an. Sie hatte diese Sachen seit Jahren nicht getragen und es war ein gutes Gefühl, sie erneut anzulegen. Das schwarze Wildleder war vom vielen Tragen an den Gelenken glatt und glänzend, doch war das der einzige Glanz. Melissa hatte alle metallenen Teile brünieren lassen, und die enge Kappe, die ihren Kopf bedeckte und nur das Gesicht frei ließ, hatte eine schützende Funktion. Das Leder verbarg den Helm, der sich unter dem Bezug befand.
Melissa de Ville versperrte die Tür zu ihren Räumen von innen und begab sich erneut zu dem Spiegel, hinter dem ihre Verkleidung versteckt gewesen war. Sie berührte wieder ein Ornament am Rahmen des Spiegels, diesmal auf der anderen Seite, und mit einem leisen Klicken öffnete sich eine Geheimtür. Der komplette Spiegel schwang an versteckt angebrachten Scharnieren auf und gab den Weg frei zu einer Treppe, die in die Tiefe führte. Es war stockfinster, doch Lady de Ville benötigte kein Licht. Vampire hören besser als Menschen, sehen mehr, und auch die anderen Sinne sind stärker als bei normalen Menschen. Zudem kannte Melissa de Ville den Weg von Hunderten von nächtlichen Ausflügen, die in der Vergangenheit zu ihrem Leben gehört hatten.
Der Gang führte zu dem kleinen Pavillon im Garten, wo Lady de Ville durch eine Falltür ins Freie kam. Es regnete, wie scheinbar seit Wochen, ununterbrochen und nur wenige Leute waren unterwegs, trotzdem wählte Lady de Ville einen anderen Weg. Mit einem Sprung, den kein Mensch bewältigen könnte, gelangte sie auf das Dach des Hauses und leichtfüßig wie eine Katze machte sie sich auf den Weg über die Dächer der schlafenden Stadt. Sie wusste, wo sie Hubert Ninefingers finden würde. Sein Hauptquartier war in all den Jahren das gleiche geblieben.
Die Schindeln waren rutschig und nass vom Dauerregen, doch Lady de Ville bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit über den unsicheren Untergrund, den die Dächer darstellten. Mit weiten Sprüngen überwand sie Straßen, indem sie auf das Dach auf der gegenüberliegenden Seite hechtete. Dann hinüber auf einen schmalen Balkon, weiter die Fassade hinauf, über die Traufe auf den Erker und hoch aufs Dach und weiter.
Nach einer guten Stunde befand sie sich auf dem Dach des Hauses, in dem Ninefingers seine Geschäfte abwickelte. Melissa de Ville lauschte. Kein Herzschlag war zu vernehmen. Es war kein Mensch in dem Haus. Lady de Ville sprang hoch, wohl zehn Fuß hoch, und dann trat sie
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