Peter Voss der Millionendieb
weiter keine Bedeutung bei, kopfschüttelnd beschaute er sich das Schulhaus, das windschief und altersschwach hinter dem Dorf in einem großen Garten lag. Zwei Bienenstöcke standen darin.
»Das werd ich mir mal gleich zunutze machen«, sagte Peter Voss, öffnete den einen und steckte seine Brieftasche hinein.
Jetzt schüttelte Minkwitz den Kopf.
»Stechen sie auch?« fragte Peter Voss und tippte an die vorderste Wabe.
Picks! Klebte ihm eine der über die Störung erbosten Immen am Zeigefinger.
Hochbefriedigt schloß er den Stock.
Dann richtete er sich häuslich ein. Das wacklige Sofa diente ihm als Lager. Während Minkwitz die Kinder unterrichtete, schmökerte Peter Voss die ganze Schulbibliothek durch.
Drei Tage später aber tastete Peter Voss schon mit ungeduldigen Fingern auf dem Wandkalender herum.
»Was suchst du denn da?« forschte Minkwitz.
»Was ich wohl suche!« grollte Peter Voss. »Den 27. November, da hat Polly Geburtstag.«
Und schon saß neben diesem Datum ein wunderbar scharfer Fingerabdruck.
Trotz des schlechten Wetters lief Peter Voss am 25. November nach Rothenburg. Es war schon spätabends, als er anlangte. Er wollte wieder einmal seinem Adoptivvater einen Besuch machen.
»Wollen Sie schon wieder betteln?« schrie ihn die Martha Zippel durch den Türspalt an. »Ich hol die Polizei!«
Wie ein Blitz war Peter Voss um die nächste Ecke.
Das Wetter wurde zusehends schlechter. Es stürmte und goss so anhaltend, daß man keinen Hund vor die Tür jagte. In einem Promenadengebüsch gegenüber dem Zuchthaus suchte er Schutz. Da stand eine alte Ulme, an deren schrägen Stamm er sich drückte.
Die Rathausuhr schlug. Er zählte. ›Schon neun Uhr!‹ dachte er. Pechfinster war es. Und der Sturm heulte wütend wie ein wilder Wolf in der Ulme. Die Zweige pfiffen, und die Äste knarrten. Der Posten drüben an der Zuchthausmauer machte drei zaghafte Schritte und verschwand sofort wieder ins Schilderhaus.
In demselben Augenblick huschte eine gebückte Gestalt über die Straße, schoß mit einem Seitensprung in das Gebüsch hinein und schlich geduckt auf die Ulme zu.
»Nanu!« wunderte sich Peter Voss.
Aber weiter kam er nicht, schon fühlte er zwei Fäuste an seiner Kehle.
»Ich erwürge dich, Kerl«, hörte er eine raue Stimme, »wenn du mir nicht sofort deine Kleider gibst.«
»Aber gewiss, gerne«, röchelte Peter Voss, ohne Widerstand zu leisten. »Ich will dir alles geben, was ich auf dem Leibe trage. Nur möchte ich nicht gerade nackend nach Hause gehen.«
»Du kriegst meine Sachen dafür«, antwortete der andere, schon ruhiger. »Ich bin eben aus dem Zuchthaus ausgebrochen.«
»Sieh mal an!« erwiderte Peter Voss anerkennend und zog bereitwilligst seine blaue Jacke aus. »Brauchst keine Angst vor mir zu haben, ich bin auch bloß ein Mensch.«
»Gib her«, atmete der andere erleichtert auf, warf Mantel und Mütze von sich, streifte das Sträflingszeug ab und beeilte sich, in Peters Kleider zu fahren. Auch die Stiefel mußte dieser hergeben. Die Zuchthaustracht des anderen paßte ihm wie angemessen.
»Was ist denn das für ein Mantel?« fragte er verwundert.
»Der gehört dem Wärter!« flüsterte der Ausbrecher. »Der hing draußen auf dem Korridor. Ich hab den Kerl in der Zelle niedergeschlagen und eingesperrt. Und die Mütze habe ich ihm auch weggenommen. Sonst wäre ich nicht durchgekommen.«
»Alle Achtung!« erwiderte Peter Voss, hängte sich den Mantel um und setzte sich die Mütze auf. »Jetzt kann's losgehen! Immer hinter mir her.«
Nun ging's mit schleichenden Schritten über die Promenade rund um die schlafende Stadt, Peter Voss immer voran, der Ausbrecher wie sein Schatten hinterdrein.
Peter Voss war ein vorzüglicher Führer. Er fühlte jedes Gebüsch auf fünf Meter im Finstern.
An einer Ecke stand ein Polizist im Schutze eines Kiosks, den Kragen seines Wettermantels hoch über beide Ohren geschlagen. Das konnte man übrigens dem Manne gar nicht verdenken. Denn es goss wie aus Eimern vom Himmel.
Peter Voss legte im Vorbeihasten den Finger an den Mützenrand, und der Polizist dankte in derselben militärisch exakten Form.
Obwohl das Wetter nicht besser, eher schlechter wurde, nahm sich Peter Voss nun etwas mehr Zeit. Der Ausbrecher hielt sich dicht an seiner Seite. Auf Peters Ermunterung begann er zu berichten, daß er Emil Popel hieße, vorbestraft sei und wegen Urkundenfälschung ein Jahr Zuchthaus abbekommen hätte. Und zwar vor dem Schwurgericht unter dem
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