Peter Voss der Millionendieb
Vorsitz des Oberlandgerichtsrates Patsch.
»Wie lange sitzt du schon?« fragte Peter.
»Seit heute«, erwiderte Emil Popel.
»Und jetzt willst du natürlich 'raus aus Deutschland?«
»Am liebsten nach Amerika!« meinte Emil Popel. »Da bin ich am sichersten. Aber ich hab kein Geld.«
»Das sollst du haben, mein Junge«, sagte Peter Voss freundlich. »Ich geb dir's gerne. Nur über Hamburg auszureißen ist ganz verkehrt. Da erwischen sie dich sicher. Aber Triest, das ist die richtige Masche. Die Leute dort sind froh, wenn sie einen Passagier haben. Ich geb dir einen Ausweis, und du fährst einfach auf meinen Namen.«
»Wenn nur die Personalbeschreibung stimmt«, warf Emil Popel ein.
»Wird schon stimmen«, beruhigte ihn Peter Voss im rüstigen Weiterschreiten. »Wie groß bist du denn? Nach den Kleidern zu urteilen, haben wir die gleiche Statur.«
Eine halbe Stunde später erreichten sie das einsame Schulhaus. Das Wetter klärte sich plötzlich auf. Peter Voss schob Emil Popel in den Schuppen und befahl ihm zu warten. Dann schlich er um das Haus herum, als hätte er nur den Schlüssel zur Hintertür, und holte aus dem Bienenstock seine Brieftasche, ohne daß er einen Stich bekam.
Wieder bei Emil Popel angekommen, zündete er ein Streichholz an und leuchtete ihm ins Gesicht. Prüfend musterte er seine erschrockenen, ängstlichen Züge.
»Nicht übel!« sagte er und warf das Streichholz weg. »Augen und Haare stimmen. Nur deine Nase ist ganz ordinär. Aber dafür kannst du nichts.«
»Krieg ich nun das Geld?« fragte Emil Popel zaghaft.
»Hier«, erwiderte Peter Voss und nahm im Finstern ein paar von den Hundertmarkscheinen aus der Tasche. »1, 2, 3 und 4! Das sind vierhundert Mark. Damit musst du eben auskommen! Und hier ist der Ausweis, darauf steht, daß du amerikanischer Bürger bist. Lern unterwegs ein bisschen Englisch. Du heißt jetzt Peter Voss, also verplapper dich nicht.«
»Peter Voss!« papageite Emil Popel und steckte den Ausweis ein.
»Das heißt«, fuhr Peter Voss fort, »in New York heißt du wieder Emil Popel. Geld hast du. Und Urkundenfälscher werden nicht ausgeliefert. Also keine Angst. Du brauchst meinen Namen nicht länger zu benutzen, als es unbedingt nötig ist.«
»So einer bin ich nicht!« sagte Emil Popel in grundehrlichem Ton, dachte aber genau das Gegenteil.
Dann verschwand er auf den Wald zu.
Peter Voss trug die Brieftasche wieder in den Bienenstock.
Darauf pochte er ans Fenster, hinter dem Minkwitz schlief. Der erschrak nicht wenig über den Zuchthauswärter in Sträflingskleidern.
»Peter!« rief er entsetzt. »Was ist denn los?«
»Ich hab einem armen Teufel fortgeholfen!« lachte Peter Voss und drückte die Tür zu. »Er ist aus dem Zuchthaus ausgebrochen!«
Dann erzählte er ihm den ganzen Hergang und setzte sich in der Sträflingskleidung zum Abendbrot nieder. Minkwitz schwankte zwischen Bewunderung und Entsetzen.
»Ein Urkundenfälscher«, tröstete ihn Peter Voss. »Ein dummer Kerl. In Amerika wird er keine Urkunden fälschen. Da muß er erst mal Englisch lernen.«
Kaum eine Viertelstunde nach Emil Popels Ausbruch war die gesamte Polizei von Rothenburg auf den Beinen. Ein Polizeihund nahm die Spur auf. Um Mitternacht bellte er vor dem Schulhaus.
Peter Voss, der eben beim dritten Glas Grog war, spitzte die Ohren. Mit einem Sprung war er im Garten. Eine tolle Jagd begann. Nicht lange, und er lief dem Wachtmeister, der die Dorfstraße bewachte, in die Arme.
»Haben wir dich endlich, du Ausreißer!« schnaufte der dicke Polizist und leuchtete ihm mit der Taschenlampe ins Gesicht. »Dir wollen wir deine Frechheiten versalzen.«
Peter Voss gab jeden Widerstand auf. Er wurde gefesselt und zur Schule geführt, wo Minkwitz in heller Verzweiflung zurückgeblieben war.
»Wie kommst du in die Schule?« schnauzte der Polizist.
»Ich wollte Kleider stehlen!«
Minkwitz fiel ein Stein vom Herzen.
»Natürlich Kleider stehlen und Geld!« brüllte der Wachtmeister und knuffte ihn in die Seite. »Du kannst dich auf drei Jahre gefaßt machen.«
»Ein bisschen viel!« versetzte Peter Voss mit Gleichmut. »Anderthalb tun es auch.«
»Da schneide dich man nicht in den Finger!« rief der dicke Gendarm und packte ihn im Genick.
›Wo bin ich vor Dodd sicherer als in einem deutschen Zuchthaus!‹ dachte Peter Voss seelenruhig und ließ sich abtransportieren.
In Rothenburg wurde er vor den Gefängnisdirektor geführt. Der hatte im Gegensatz zu seinem Kollegen in St. Malo
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