Pfad der Schatten reiter4
Disziplin –, und der magische Blitz löste sich auf. Für den Augenblick jedenfalls. Er musste den Tempesstein in die Mitte der Kammer bringen. Merdigen hatte gesagt, dass er nicht unbedingt auf dem Sockel liegen musste, aber innerhalb des Säulenkreises.
Alton ließ seinen Blick wandern und spähte in die düsteren Höhen des Turmes. Er konnte keinerlei Bewegung wahrnehmen, nichts wies auf die Anwesenheit des Wesens hin, aber er wusste, dass es da war und sich in den Schatten verbarg. Er wusste, dass es ihn beobachtete.
Es hatte keinen Sinn, das Unvermeidliche hinauszuzögern. Je eher er den Tempesstein ablieferte, desto eher konnte er den Turm wieder verlassen. Er überprüfte noch einmal seine Abschirmung und rannte los. Ein Blitz schlug in seinen Schild und verkohlte den Steinboden ringsum. Jeder seiner Schritte erzeugte eine weitere Detonation der Kraft, die seine Existenz vernichten wollte. Ein Blitzschlag traf ihn mit solcher Wucht, dass er ihm den Tempesstein aus der Hand schlug. Verzweifelt
versuchte er ihn festzuhalten, behindert durch die Decke, die ihn schützen sollte.
»Nein!«, schrie Alton. Vor seinem inneren Auge sah er den grünen Stein schon auf dem Boden aufschlagen und zerbersten.
Er glitt ihm durch die Finger und fiel, aber Alton stürzte sich hinterher und fing ihn auf – er fing ihn mit festem Griff. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und er schloss kurz die Augen und holte tief Luft. Fast hätte er Merdigen verloren!
Den Rest der Strecke legte er in einem Sprung zurück, fiel zwischen zwei Säulen hindurch in die Mitte des Raumes und prallte neben dem Skelett auf den Boden. Wieder hörten die Blitze auf, sobald er sich nicht mehr bewegte.
Wie in den anderen Türmen schien ihn der Durchgang zwischen den Säulen an einen anderen Ort befördert zu haben. Aber wo dieser Ort auch sein mochte und was er einst auch gewesen war – jetzt war er nichts als eine verkohlte Schutthalde, geschwärzter, verbrannter Erdboden unter einem düsteren, diesigen Himmel. Nichts war hier noch am Leben, nicht einmal ein Grashalm. Nichts. Es war ein Schattenreich.
Alton bewegte sich vorsichtig, um die Verteidigungsmechanismen des Turms nicht erneut zu provozieren, formte aus der Decke ein Nest und bettete den Tempesstein darauf. Sein blendender grüner Schein erglühte mit seinem eigenen inneren Feuer und erhellte die umliegende Verwüstung mit lebendigem Licht. Er fragte sich, ob Merdigen wusste, dass er ihn fast hatte fallen lassen; dann würde er es ihm in Zukunft ständig vorhalten.
»Tsk, tsk«, sagte der Magier, der sich neben der Säule materialisierte und auf Alton heruntersah. »Hier drin sieht es ja katastrophal aus.«
»Was, glauben Sie, ist hier passiert?«, fragte Alton.
»Erst muss ich mich ein paar Minuten umsehen.« Merdigen umkreiste den Sockel, auf dem Haurris’ kränklicher Tempesstein
lag, und betrachtete dann das Skelett. Er brummte vor sich hin und schüttelte den Kopf.
Alton bemühte sich, so still wie möglich liegen zu bleiben, aber ausgerechnet jetzt juckte es ihn unter der linken Schulter, und der Drang, sich zu kratzen, wurde so unerträglich, dass es ihm Tränen in die Augen trieb, dem Impuls zu widerstehen. Dass er Auge in Auge mit dem Totenschädel dalag, half auch nicht gerade. Er wünschte, Merdigen würde sich beeilen.
»Traurig, sehr traurig«, murmelte Merdigen.
Alton beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Merdigen sich jenseits der Säulen bewegte, um die ganze Turmkammer zu untersuchen.
Wo steckt dieses Wesen, dieses Ding?, fragte er sich. Er versuchte, sich darauf zu konzentrieren und auf verstohlene Geräusche zu achten, aber er hörte nur Merdigen, der bekümmert vor sich hin brabbelte. Sonst war alles still. In der verkohlten Landschaft, in der er lag, gab es nicht einmal einen Windhauch. Die Luft war schal und roch beißend.
»Sind Sie bald fertig?«, drängte Alton.
»Solche Dinge brauchen ihre Zeit«, versetzte Merdigen. Er kehrte zur Mitte der Kammer zurück, betrachtete erneut den Tempesstein und strich sich den Bart. »Ich glaube, dieses Skelett ist der sterbliche Überrest von Haurris. Wie er ein solches Ende fand, ist unbegreiflich. Es sei denn …«
»Es sei denn was?«
»Es sei denn, es ist ihm gelungen, in seinem Tempesstein einen Hinweis zu hinterlassen, aber so wie es hier aussieht, ist das eher unwahrscheinlich. Die Zaubersprüche in dieser Kammer stammen eindeutig von Haurris, sowohl die Barriere, die dich beim ersten Mal daran
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