Pfad der Schatten reiter4
zwischen den Ruinen murmelte, begleitet von einem rhythmischen Tröpfeln, das eine geheime Botschaft trommelte. Sie schauderte, als sie in der Ferne Kinder weinen hörte, und hatte manchmal das Gefühl, dass Luftströmungen die Türme zum Klingen brachten. Sie wurde immer tiefer hineingesogen, bis sie ein tiefes Seufzen hörte, in dem sie fast ihren Namen zu hören glaubte.
Sie fragte sich, ob Yates, der sich jetzt mehr denn je auf sein Gehör verlassen musste, die Stadt ebenfalls so wahrnahm wie sie. Sie überlegte, ob sie ihn danach fragen sollte, aber sie hatte Angst, das Schweigen der Gruppe zu brechen, als würde sie
dadurch etwas Fragiles zerstören – als würde dadurch der Himmel über ihnen einstürzen, oder als würde sie einen schlafenden Gott aufwecken.
Ealdaen blieb stehen, und Karigan, die völlig in den Spiralen und Stimmen versunken war, sah erschrocken auf. Sie waren an einer Mauer angelangt, die steil vor ihnen aufragte und über der sich einer der Türme des Schlosses Argenthyne noch viel weiter in den Himmel erhob.
Wie vorauszusehen, war die Mauer nicht gerade und rechtwinklig, sondern beschrieb eine Kurve. Sie folgten einer Straße, die sich an ihre Krümmung schmiegte, wobei das Schloss weiterhin zu ihrer Rechten lag. Auf der anderen Straßenseite hörten die feuchten Ruinen und das Geröll abrupt auf, und der Schwarzschleierwald erhob sich über ihnen. Karigan begriff, dass sie das nördliche Blatt verlassen hatten und nun zum östlichen Blatt unterwegs waren, wo der Hain der Schläfer auf sie wartete.
ENMORIAL
Als sie im östlichen Blatt ankamen, war der Hain nicht mehr zu übersehen. Nadelbäume erhoben sich so hoch, als wären sie ebenfalls Türme; ihre Stämme waren so dick wie kleine Häuser, ihre Äste länger als die meisten Baumstämme, die Karigan je gesehen hatte. Wurzeln schlängelten sich aus dem Boden und bildeten Bögen wie Brücken. Die Reisegefährten hatten nun das Schloss im Rücken und legten die Köpfe in den Nacken, um die Baumwipfel zu erkennen, aber genau wie die Türme verschwanden auch sie im Nebel.
»Aus dem Holz könnte man eine Menge Häuser bauen«, brummte Ard.
Trotz Karigans Erregung, diese lebendigen Riesen, in denen die Eleter ruhten, wahrhaftig vor sich zu sehen, waren die Auswirkungen des Schwarzschleierwaldes nicht zu übersehen. Die Baumstämme waren verrottet. Schwarze, bärtige Flechten baumelten von den Ästen. Einige Bäume waren umgestürzt, gewaltige, verwesende Leichen, die allmählich zu Erde wurden. Die dichten Wipfel des Haines sperrten die Dunkelheit darunter ein, und die Luft roch abgestanden.
Graelalea wollte ihren Mondstein hervorholen, aber Lynx berührte ihr Handgelenk. »Vorsichtig«, sagte er.
»Was ist los?«
Seine Stirn zog sich in Falten, als hätte er Kopfschmerzen. »Wir sind nicht allein hier. Ich spüre … dass der Wald auch andere hier wahrnimmt.«
»Können Sie feststellen, wen oder was?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann nur sagen, dass sie hauptsächlich am anderen Ende des Haines sind. Aber es gibt auch Störungen, die nicht allzu weit entfernt sind.«
»Gut, bleiben Sie wachsam«, sagte sie. Hände griffen nach Waffen, um zu allem bereit zu sein, und Karigan fragte sich, wer im Namen aller Höllen außer ihnen hier im Wald war. »Ich muss den Hain im Licht sehen«, sagte Graelalea, »ob es nun gefährlich ist oder nicht.«
Zunächst wurde Karigan vom Licht des Mondsteins geblendet, das in der Dunkelheit des Hains aufloderte und die Fäulnis, die die großen Bäume ihrer Rinde beraubte, in scharfem Relief hervorhob. Wie Blut träufelte das Harz aus den Wunden der Bäume. Teilweise waren sie so knorrig und knotig, dass Karigan sich einbildete, Gesichter zu sehen, die sie angafften, genau wie in ihrer Vision der Masken vom königlichen Maskenball, der inzwischen unendlich lang zurückzuliegen schien. Zahllose Spinnwebschichten hingen zwischen den Bäumen und bewegten sich sanft in den Luftströmungen. Viele glitzernde Facettenaugen beobachteten die Gruppe aus den Schatten.
Auf den vom Licht erhellten Gesichtern der Eleter zeichneten sich Ehrfurcht und Bestürzung ab, aber Karigan fand, dass sich in Ealdaens Zügen nur Trauer spiegelte.
»Wir müssen…«, begann Graelalea, aber sie wurde von Gebrüll unterbrochen, von Geheul, Kreischen und Geschrei. Pfeile zischten in der Dunkelheit. »Zum Schloss!«, schrie sie, aber als sie sich umwandte, um die anderen wegzuführen, durchdrang ein Pfeil den Spalt ihrer
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