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Pfad der Schatten reiter4

Pfad der Schatten reiter4

Titel: Pfad der Schatten reiter4 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: britain
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die Leute vor deinem Zelt weniger häufig als vor meinem, Lord Alton.«
    »Aha, ich verstehe.« Er verstand es wirklich, denn meistens sammelten sich Zuhörer um Estral, wenn sie spielte, selbst wenn sie offensichtlich versuchte, sich auf die geheimnisvollen Musiktakte aus Theanduris Silberholz’ Buch zu konzentrieren. Er konnte sich vorstellen, wie sehr sie das ablenkte. Aufgrund seines Ranges neigten die Leute dazu, einen respektvollen Bogen um sein Zelt zu schlagen. »Störe ich dich?«
    »Noch nicht«, antwortete Estral. »Ich habe noch nicht angefangen.«
    Ein roter Vogel schlug auf einem nahen Baum mit den Flügeln, sein Gefieder blitzte hell vor dem immergrünen Hintergrund auf.
    »Wie geht es den Pferden?«, fragte sie. Er hatte ihr die Besonderheit der Botenpferde erklärt, und sie wusste, was ihre Unruhe zu bedeuten hatte.
    »Sie sind immer noch rastlos«, sagte er. »Kondor am meisten.
Wer weiß, in welchem Schlamassel Karigan wieder gelandet ist.«
    Estral betrachtete ihre Fingernägel. Die Nägel der Hand, mit der sie die Akkorde griff, waren kürzer als die der Hand, mit der sie die Saiten zupfte, und wenn sie allein miteinander waren und sie ihn umarmte, hatte er dies sehr direkt erfahren. Beim Gedanken daran erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, das er rasch wieder durch eine neutrale Miene ersetzte, als ihm einfiel, worüber sie sprachen. Karigan war noch immer ein schwieriges Thema für sie beide.
    »Ich frage mich oft, was sie und die anderen im Wald alles erleben«, sagte Estral.
    »Ich mich auch.« Obwohl Alton selbst im Schwarzschleierwald gewesen war, erinnerte er sich kaum an Einzelheiten – aber das wenige, was er noch wusste, war schrecklich genug. Er teilte diese Erinnerungen nicht mit Estral, da er sie nicht noch mehr beunruhigen wollte. Diese Gedanken waren bedrückend, und er wechselte das Thema. »Wie geht deine Arbeit voran? Irgendwelche Inspirationen?«
    Estral seufzte. »Weißt du, ich denke auch dann darüber nach, wenn ich nicht aktiv daran arbeite. Ich habe so viele Variationen ausprobiert, und keine hat gestimmt. Manchmal glaube ich, ich denke zu viel darüber nach, aber dann fällt mir wieder ein, was für ein musikalisches Genie Gerlrand Fiori war, und ich komme mir völlig unzulänglich vor.«
    Der rote Vogel zwitscherte, als wollte er ihrer Aussage zustimmen, und hüpfte auf einen anderen Ast.
    »Unzulänglich? Das glaube ich kaum.« Er hob anzüglich die Augenbrauen. Dann fügte er etwas ernster hinzu, »Wenn du schon von Unzulänglichkeit sprichst: Stell dir nur mal vor, wie ich mich erst fühle, was den Wall angeht. Meine Vorfahren haben ihn gebaut, und ich kann ihn nicht mal reparieren.«
    »Du kannst ihn nur nicht reparieren, weil ich die Silberholz-Takte
nicht entschlüsseln kann«, sagte Estral. »Aber ich habe mich bemüht, so zu denken wie Gerlrand, und er ist nicht immer logischen Mustern gefolgt. Die Noten aus dem Buch steigen auf, als würden sie eine Frage stellen.« Sie demonstrierte ihm, was sie meinte, und ihre Stimme erhob sich in klaren, wohlklingenden Tönen. »Ich gehe davon aus, dass es eine Antwort darauf gibt. Aber was ist, wenn es doch keine Antwort gibt, sondern nur eine weitere Frage? Und wenn diese andere Frage nicht einmal die Noten widerspiegelt, die wir bereits kennen, sondern noch mehr unbekannte Harmonien enthält?«
    Alton lächelte schwach und klopfte ihr auf die Schulter. »Deshalb beschäftigt sich ja ein Fachmann damit.«
    »Der wirkliche Fachmann wäre Gerlrand. Es gibt einfach zu viele mögliche Variationen.«
    Sie sang die Noten erneut und fügte diesmal eine weitere aufsteigende Tonfolge hinzu, doch dann sank ihre Stimme zu tieferen, unheimlich klingenden Tönen hinab, bevor sie wieder aufstieg. Alton nahm an, dass sie sie in diesem Augenblick erfunden hatte und entschied, dass Gerlrand Estral keineswegs übertraf.
    Während sie sang, flog der rote Vogel von seinem Ast auf und kreiste über ihren Köpfen. Alton dachte sich nichts dabei, bis er seine Flügel zu einem Sturzflug anlegte. Wie ein blutroter Pfeil schoss er direkt auf Estral hinunter und bohrte sich in ihre Kehle. Es geschah blitzschnell, und Estrals Lied endete abrupt. Kein zerknautschter Vogel lag nach dem Zusammenstoß betäubt auf dem Boden. Er hatte sich in eine aufgedunsene Schlange aus rotem Licht verwandelt, die sich um ihren Hals geschlungen hatte und in ihren Mund und dann ihre Kehle hinunterglitt. Sie würgte und schnappte nach Luft.
    »Estral!« Alton

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