Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
einem Dalai Lama zum nächsten weitergereicht wurde, wie kommt es, dass sie nun in Ihrem Besitz ist?«
»Die Schriftrollen sowie alle Geheimnisse müssen von zwei Männern aufbewahrt werden. Der Dalai Lama weiß nicht, wer der nächste Dalai Lama wird, weshalb er alle wichtigen Dinge in die Obhut seines Lehrers gibt. Wenn sein Lehrer stirbt, vertraut er sie der Reinkarnation seines Lehrers an. Falls der Dalai Lama stirbt, teilt der Lehrer die Geheimnisse mit dem nächsten Dalai Lama, sodass die Schriftrollen nie verloren gehen. Mit dem jetzigen Dalai Lama im Exil fällt diese Aufgabe mir zu.«
»Wollen Sie damit sagen, dass diese Schriftrollen all die Jahrhunderte für uns aufbewahrt wurden?«, fragte ich ungläubig.
»Ja. Wir haben das Geheimnis sowie die Anweisung, wie wir diejenigen erkennen, denen wir die Schriftrolle übergeben sollen, von einem Lehrer zum nächsten weitergegeben.«
Mr. Kadam beugte sich hinab, um das Pergament in der Flasche aus der Nähe zu betrachten. »Unglaublich! Ich kann es kaum erwarten, sie zu untersuchen.«
»Das dürfen Sie nicht. Mir wurde aufgetragen, dass die Schriftrolle erst nach dem fünften Opfer gelesen werden darf. Es würde eine Katastrophe größten Ausmaßes nach sich zie hen, sollte sie vorzeitig geöffnet werden.«
»Das fünfte Opfer?«, murmelte ich. »Aber wir wissen noch gar nicht, was das sein wird, Mr. Kadam.« Ich wandte mich an den ozeangleichen Lehrer. »Bisher wissen wir nur von vier Opfern und vier Gaben. Die fünfte werden wir erst ganz zum Schluss erfahren. Sind Sie sicher, dass wir unsere Aufgabe erfüllen können, ohne die Schriftrolle gelesen zu haben?«
Der Mönch hob die Schultern. »Dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Meine Aufgabe besteht allein darin, sie Ihnen zu übergeben und zwei weitere Dinge für Sie zu tun. Kom men Sie. Setzen Sie sich her, junge Dame, und lassen Sie mich Ihre Augen salben.«
Er zog einen Stuhl für mich herbei, nahm die grüne Phiole und sagte: »Mr. Kadam, sind Sie bei Ihren Studien auf ein Volk mit dem Namen Chewong gestoßen?«
Mr. Kadam setzte sich. »Ich muss gestehen, nein.«
Ich kicherte leise. Das kann ich kaum glauben. Mr. Kadam weiß etwas nicht? Ist das überhaupt möglich?
»Die Chewong sind ein kleines Volk in Malaysia, unglaub lich faszinierend. Im Moment wird gerade sehr viel Druck auf sie ausgeübt, damit sie zum Islam übertreten und sich in die malaysische Gesellschaft integrieren. Aber es gibt einige wenige, die sich für das Recht auf ihre eigene Sprache und Kultur einsetzen. Es ist ein friedvolles Volk, das keine Gewalt kennt. In ihrer Sprache gibt es kein Wort für Krieg, Korruption, Kampf oder Strafe. Sie haben sehr interessante Bräuche. Einer bezieht sich auf den gemeinsamen Besitz. Sie glauben, es sei gefährlich und falsch, alleine zu essen, weshalb sie ihre Mahlzeiten immer gemeinsam einnehmen. Doch der Glaube, der Sie betrifft, hat mit den Augen zu tun.«
Nervös benetzte ich mir mit der Zunge die Lippen. »Äh, was genau stellen sie mit den Augen an? Gibt es die zum Abendessen?«
Er lachte. »Nein, nichts dergleichen. Die Schamanen oder religiösen Führer haben dort angeblich kalte Augen , während der Rest der Menschen heiße Augen hat. Ein Mensch mit kalten Augen kann verschiedene Welten sehen und Dinge ausmachen, die dem gewöhnlichen Blick verborgen bleiben.«
Mr. Kadam war fasziniert und stellte unzählige Fragen, während mein Blick zu der öligen grünen Flüssigkeit glitt, die der Mönch auf seine trockenen, fast pergamentenen Fin ger tropfte.
»Äh, ich muss Sie warnen, dass ich ein bisschen empfindlich bin, was meine Augen angeht. Meine Eltern mussten mich mit Gewalt festhalten, damit sie mir Augentropfen verabreichen konnten, als ich als Kind eine Bindehautentzündung hatte.«
»Keine Sorge«, sagte der ozeangleiche Lehrer. »Ich werde Ihre geschlossenen Lider salben und Worte der Weisheit sprechen.«
Ich entspannte mich und machte gehorsam die Augen zu. Seine warmen Finger strichen über meine Lider. Ich hatte erwartet, dass mir das klebrige Zeug die Wangen herunterlaufen würde, aber es war zähflüssig, fast wie eine Creme, und roch scharf nach einem Medikament. Der Geruch kitzelte mich in der Nase und erinnerte mich an die Mentholsalbe, mit der mir meine Mutter früher die Brust einrieb, wenn ich Husten hatte. Meine Lider kribbelten und wurden eiskalt. Ich ließ sie geschlossen, während der Mönch leise sprach.
»Nun meine Ratschläge an Sie, junge Dame. Erstens:
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