Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
versteinert und sah Lokesh nicht an.
Auf einmal wurde er wütend. »Wenn du wirklich etwas für ihn empfindest, wirst du seinen Schmerz doch lindern und ihm jede unnötige Pein ersparen wollen. Nein? Vielleicht habe ich mich in deiner Zuneigung getäuscht. Ich bin mir allerdings sicher, was er für dich empfindet. Er redet nie von dir, nur in seinen Träumen ruft er nach seiner Liebsten. Aber womöglich bist du überhaupt nicht diejenige, nach der er sich verzehrt?« Seine Stimme verhallte. »Nun ja. Die beiden Brüder hatten nie großes Glück in der Liebe, nicht wahr? Vielleicht ist es auch an der Zeit, ihn von seinen Qualen zu erlösen. Fast kommt es mir vor, als würde ich ihm damit einen Gefallen tun.«
Ich konnte mich nicht zurückhalten. »Nein!«
Er hob die Augenbrauen und setzte erneut zu sprechen an, aber seine Worte waren zu leise. Als wir drei uns nicht mehr hören konnten, drehte sich Mr. Kadam zu mir um. Lokesh fuchtelte mit den Händen, doch ich schenkte ihm keine Aufmerksamkeit und konzentrierte mich allein auf Mr. Kadam, der allmählich zu einer weißen Fläche verblasste. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen, während er mich mitleidvoll anlächelte und mir zuwinkte, bevor er völlig verschwand.
Ich blinzelte, und das Weiß verwandelte sich in ein leuchtendes Grün. Mein Kopf pochte.
Kishan schrie mich an. »Kelsey! Kelsey! Komm zu dir!«
Zum Glück hielt ich immer noch das Tuch in Händen. Ich rief: »Hab es! Zieh mich hoch, Kishan!«
»Kelsey! Pass auf!«
Ein Vogel kreischte über uns. Ich drehte mich um und starrte direkt in den klaffenden schwarzen Schlund eines metallenen Vogels, der mir in Großaufnahme seinen grünen, mit Rost überzogenen, zweischneidigen Scherenschnabel entgegenreckte. Ich feuerte einen Blitzstrahl hinein, und er flatterte krächzend davon, während dunkler Rauch sich aus seinem Schnabel kringelte.
Mit einem lauten Ächzen zog mich Kishan zu sich hoch. Ich umklammerte seine Taille und hielt mich verzweifelt an ihm fest. Dann ließ er mich in dem Vertrauen los, dass ich genügend Kraft hätte, mich festzuhalten. Ich schlang die Arme um ihn, umfasste zur Sicherheit meine Handgelenke und ballte das Tuch in der Faust. Kishan zog sich über den Rand des zerstörten Nests und half mir hoch. Seine Arme zitterten vor Erschöpfung.
Kishan setzte sich auf und untersuchte meine Arme. »Kells, ist bei dir alles in Ordnung? Was ist passiert?«
»Noch eine Vision«, keuchte ich. »Erzähl ich dir später.«
Wir duckten uns, als ein Vogel in der Nähe krächzte. Ich nahm unseren Rucksack und verstaute den Bogen mitsamt dem Köcher, der wie durch Zauberhand mit goldenen Pfeilen gefüllt war, sowie das Tuch und die Chakram darin.
»Okay. Und was jetzt?«, fragte Kishan.
Wir kletterten den Baum hinab, bis wir genügend Deckung hatten, dass die Vögel uns nicht mehr sehen konnten. Wir hingegen konnten sie immer noch hören, wie sie den Baum umkreisten und sich lauthals mit Gekreische verständigten, doch je weiter wir nach unten kamen, desto ruhiger wurde es, bis ihr Krächzen völlig verstummte.
»Kells, bleib stehen. Wir müssen uns ein bisschen ausruhen.«
»In Ordnung.«
Die Goldene Frucht tischte uns im Nu etwas zu essen und zu trinken auf, und Kishan bestand darauf, mich nach Verletzungen zu untersuchen. Ihm schien nichts zu fehlen. Seine Blessuren waren bereits verheilt, aber ich hatte ein paar böse Schnittwunden an Armen und Beinen. Diese heilten auch, doch meine Fingernägel waren eingerissen und blutig, und unter einem war ein langer Splitter, den Kishan sich anschaute.
»Das wird wehtun. Splitter und Stachel sind die schlimmsten Feinde eines Tigers.«
»Wirklich? Wie kommt das?«
»Wir reiben und kratzen uns an Bäumen, um unser Territorium zu markieren, und fressen manchmal Stachelschweine. Ein cleverer Tiger greift sie von vorne an, aber manchmal drehen sie sich blitzschnell. Ich hatte schon des Öfteren Stacheln in meiner Tatze, und die tun weh und eitern. Sie brechen ab, sobald man geht. Ein Tiger kann sich unmöglich selbst helfen, weshalb ich immer warten musste, bis meine Zeit als Mensch gekommen war, um sie herauszuziehen.«
»Oh! Ich hatte mich schon gefragt, warum Ren sich im Dschungel immer an Bäumen gerieben hat. Kommen Stachel nicht irgendwann von selbst heraus?«
»Nein. Sie krümmen sich und blieben in der Haut stecken. Sie lösen sich nicht auf. Splitter schon, Stachel nicht. Sie bleiben das ganze Leben im Körper eines Tigers. Das ist
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