Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
genug Kraft hatte. Erst der Gedanke an Ren, der immer noch schrecklich litt, ließ mich meine Starre überwinden.
Die Tür schwang auf, und Kishans Nasenflügel blähten sich. Der feuchtkalte, süßliche Geruch von Blut und mensch lichem Schweiß überdeckte alles. Ich wusste, wo ich war. Hier war ich schon einmal gewesen. Es war die Kammer, in der Lokesh Ren gefoltert hatte. Widerliche Werkzeuge hingen an den Wänden und lagen aufgereiht auf glänzenden Operationstischen. Der Anblick all der scharfen Instrumente und die Vorstellung, welchen Schmerz Lokesh dem Mann, den ich liebte, zugefügt hatte, ließen mir den Atem stocken.
Die modernen chirurgischen Gerätschaften lagen fein säuberlich auf Chromtabletts, während die älteren Instrumente in den Ecken verstaut waren oder an Haken hingen. Ich konnte nicht anders. Ich musste die Hand ausstrecken und das fransige Ende einer Peitsche berühren. Als Nächstes strich ich über den Griff eines großen Hammers und begann zu zittern, als ich mir vorstellte, wie er Rens Knochen zersplittert hatte. Unzählige Messer in verschiedenen Größen und Längen hingen griffbereit nebeneinander.
Da gab es Holzklötze, Schrauben, Nägel, Zangen, Eispickel, Lederriemen, einen eisernen Maulkorb, einen modernen Bohrer, ein mit Nägeln versehenes Halsband, eine Daumenschraube und sogar eine Lötlampe. Rasch fuhr ich mit den Fingern über die Gegenstände und brach in bitterliches Weinen aus. Sie zu berühren, war das Einzige, was ich tun konnte, um wahrhaft nachempfinden und verstehen zu kön nen, was Ren alles hatte erleiden müssen.
Sanft nahm mich Kishan am Arm. »Sieh da nicht hin, Kelsey. Sieh einfach mich an oder schau auf den Boden. Das solltest du dir nicht antun. Es wäre besser, wenn du drau ßen wartest.«
»Nein. Ihm zuliebe muss ich hierbleiben. Das muss ich einfach.«
Rens Käfig stand in der hintersten Ecke des Raumes, in dem ich eine gebrochene Gestalt und ein Stück davon entfernt eine zusammengerollte glitzernde Schlange ausmachen konnte. Nachdem ich Fanindra hochgehoben hatte, ging ich einen Schritt zurück und jagte das Schloss in die Luft. Dann schob ich die Tür auf.
»Ren?«, rief ich leise.
Er erwiderte nichts.
»Ren? Bist du … wach? «
Die Gestalt rührte sich schwach, und ein blasses, ausgemergeltes Gesicht wandte sich mir zu. Seine blauen Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Er sah zu Kishan, riss die Augen auf und kroch zur Käfigtür. Kishan winkte ihn zu sich und streckte eine helfende Hand aus.
Zögerlich umklammerte Rens zitternde Hand den Metallstab in der Ecke des Käfigs. Seine Finger waren erst kürzlich gebrochen worden und blutüberströmt. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und meine Sicht verschwamm, als ich einen Schritt zurückwich, um ihm Platz zu machen. Kishan eilte herbei und half ihm auf die Beine. Als Ren schließlich stand, keuchte ich auf. Er musste vor nicht allzu langer Zeit schrecklich verprügelt worden sein. Das hatte ich erwartet. Und seine Wunden verheilten bereits.
Erschreckender war der Umstand, wie dürr er war. Lokesh hatte ihn verhungern lassen. Wahrscheinlich war er auch dehydriert. Sein starker Körper war hager, viel dünner, als ich mir das je hätte vorstellen können. Seine leuchtenden blauen Augen waren eingesunken. Seine Wangenknochen standen hervor, und sein seidig schwarzes Haar hing stumpf und strähnig herab. Er kam einen Schritt auf mich zu.
»Ren?«, sagte ich und streckte die Hand nach ihm aus.
Er sah mich mit schmalen Augen an, ballte die Faust und ließ sie mit einer Wucht hervorschnellen, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Ich spürte einen scharfen Schmerz im Kiefer und dann nichts mehr.
26
D ie Bai g a
I ch erwachte von einem Holpern und starrte zu einem dunkelgrünen Blätterbaldachin empor. Kishan trug mich durch den Dschungel. Er sah wieder aus wie er selbst, was zugegebenermaßen eine Erleichterung war. Während er verkleidet gewesen war, hatte ich mich in seiner Gegenwart unwohl gefühlt.
»Kishan? Wohin gehen wir?«
»Schsch. Beruhige dich. Wir folgen den Baiga tiefer in den Dschungel. Wir müssen uns so weit wie möglich vom Lager entfernen.«
»Wie lange war ich bewusstlos?«
»Ungefähr drei Stunden. Wie geht es dir?«
Vorsichtig berührte ich mein Kinn. »Als hätte mir ein Bär einen Kinnhaken versetzt. Ist er … okay? «
»Er ist gleich dort hinten. Die Baiga tragen ihn auf einer selbstgebauten Bahre.«
»Aber er ist gesund?«
»Soweit ja.« Dann redete er leise
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