Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
Gewissensbisse. Li hatte nichts falsch gemacht, und das Mindeste, was ich ihm schul dete, war meine ungeteilte Aufmerksamkeit. »Es tut mir leid, Li. Du hast vollkommen recht. Aber ab jetzt bin ich hier bei dir, hundert Prozent. Erklär mir noch mal, warum dieser Kung-Fu-Film ein Klassiker ist.«
Li warf mir einen Blick zu und begann dann, mir von Die Schlange im Schatten des Adlers zu erzählen, Jackie Chans Debütfilm. Mein echtes Interesse schien ihn ein wenig zu besänftigen. Der restliche Abend verlief reibungslos, aber ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen Li. Ich schenkte ihm nicht die Aufmerksamkeit, die er verdiente. Noch schlimmer war der Umstand, dass ich wünschte, Ren hätte den Film mit uns zusammen angeschaut.
Als ich an diesem Abend von meinem Date nach Hause kam, klebte ich eine Notiz auf Rens Seite der Verbindungstür.
Ren hatte mich seit drei Wochen nicht mehr geküsst, und ich würde wohl bald schlappmachen. Ich hatte alles Menschenmögliche getan und nicht einmal den Hauch eines Knabberns an meinen Lippen gespürt. All die Mühe der letzten Wochen hätte ich mir sparen können. Ich besaß zwar nun eine beträchtliche Kollektion von Lippenstiften sowie unzählige Lipgloss und hatte jeden einzelnen ausprobiert, aber ohne Erfolg.
Während Wushu zog er eine weitere Notiz aus seiner Tasche, las sie durch und blickte mit hochgezogener Augenbraue in meine Richtung. Dieses hier war mein absolutes Highlight, und ich hatte es bis zum Schluss aufgespart. Es war mein allerletzter, verzweifelter Versuch.
Ren sagte kein Wort, aber er starrte mich mit glutvollen, eindringlichen Augen an. Ich erwiderte seinen Blick und spürte, wie ein Band zwischen uns knisternd Feuer fing. Es brannte ein Loch durch mich hindurch. Ich konnte die Augen nicht von ihm lösen, und ihm schien es nicht anders zu ergehen.
Li, der gerade hereinkam, erstarrte, als er Ren und mich so stehen sah, dann schüttelte er sich und verkündete laut, dass wir wieder Wurftechniken üben würden, was er seit Rens erster Stunde vermieden hatte. Dieses Mal würden Li und Ren dem Rest von uns die Bewegungsabläufe vorführen. Li forderte uns alle auf, uns mit dem Rücken zur Wand hinzusetzen. Widerwillig brach Ren den Augenkontakt mit mir ab und wandte sich seinem Gegner zu.
Die beiden Männer umkreisten einander. Li wagte den ersten Schritt, griff zum Angeben mit einem Roundhouse-Kick an, doch Ren blockte ihn mit einem kräftigen Schlag ab. Li verlagerte das Gewicht auf ein Bein und wollte Rens Knie treffen, bevor er einen gezielten Hieb auf seine Brust vollführte. Ren wich jedoch nach rechts aus, sodass Lis Tritt ins Leere ging, und wehrte den Schlag mit der Handfläche ab. Als Nächstes versuchte Li sein Glück mit einem Korkenziehertritt, wobei eine Hand auf dem Boden blieb und er das Bein seitlich nach oben schnellen ließ. Ren packte Lis Fuß und drehte ihn, sodass Li mit einem lauten Knall auf dem Bauch landete. Wütend rollte sich Li weg und versuchte sein Glück mit einer Reihe geschickter Stöße. Ren aber blockte jeden noch so ausgefallenen Angriff mit spielerischer Leichtigkeit ab.
Li erkannte, dass seine Attacken zu nichts führten. Er täuschte einen Schlag vor, um Rens Arm zu fassen zu bekommen und ihm mit einem rückwärtigen Fußstoß ins Gesicht zu treffen, aber Ren wehrte sich mit einem Handkantenschlag. Li verlor das Gleichgewicht und fiel erneut auf die Matte. Geschmeidig wie ein Gummiball sprang er in derselben Sekunde auf, und die beiden umkreisten einander wieder argwöhnisch.
»Sollen wir wirklich weitermachen?«, fragte Ren. »Du hast bewiesen, dass du ein guter Kämpfer bist.«
»Ich muss hier gar nichts beweisen.« Li grinste breit. »Ich will nur, dass du aufhörst, meine Freundin zu beglotzen.« Mit einem doppelten Hammerfaustschlag versuchte er, Ren zu treffen. Ren umfasste einfach Lis Handgelenke und verdrehte sie leicht. Li verzog schmerzgepeinigt das Gesicht und wich hastig zurück. Dann zielte er mit einem geraden Fußstoß auf Rens Gesicht.
Ren aber packte sein Fußgelenk. »Sie hat sich noch nicht entschieden, wessen Freundin sie ist.« Er riss die Arme hoch und schleuderte Li durch die Luft. »Aber wären wir in einem Wettbüro, stünde deine Quote nicht besonders hoch.«
Empört und peinlich berührt keuchte ich auf. Ren drehte sich zu mir um. Li nutzte die Ablenkung schamlos aus, umklammerte Ren von hinten und drückte ihm die Brust zu, eine Technik, die jeden normalen Gegner bewegungsunfähig
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